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„Gleichberechtigung ist das Resultat einer gemeinsamen Anstrengung“

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„Gleichberechtigung ist das Resultat einer gemeinsamen Anstrengung“

Sonsolez Perez (links) und Nicoletta Sabov setzen sich mit ihrem Podcast Vitamin F(emale) für mehr Gendergleichheit ein.

In ihrem Podcast Vitamin F sprechen die beiden Ingolstädterinnen Nicoletta Sabov und Sonsoles Perez vorwiegend über feministische Themen. Auch abseits des Podcasts setzen sie Projekte aus feministischer Perspektive um. Im espresso-Interview verraten uns die beiden Feministinnen, welche Formen von Sexismus sie im Alltag erleben, welchen traurigen Rekord Ingolstadt hält und was wir alle tun können, um unseren Teil für mehr Gendergleichheit beizutragen

Vitamin F

Den Podcast und weitere Infos dazu gibt es auf folgenden Kanälen:

Nico und Sonsi, in eurem eigenen Podcast „Vitamin F“ unterhaltet ihr euch über feministische Themen. Was versteht ihr persönlich unter Feminismus?
NICO & SONSI: Wir verstehen uns als intersektionelle Feministinnen. Intersektioneller Feminismus lehnt alle Diskriminierungsformen strikt ab. Auch wenn wir beide nicht von allen Diskrimierungsformen persönlich betroffen sind, tragen wir trotzdem eine gesellschaftliche Verantwortung. Wir sehen uns als „Allies“, also Verbündete gegenüber denjenigen, die davon betroffen sind.
Diversität und Inklusion gehört zu unserer bunten Gesellschaft dazu.

Was sind die gravierendsten Ungerechtigkeiten und Probleme, mit denen ihr euch als Feministinnen
aktuell auseinandersetzt?
NICO: Geschlechterungerechtigkeit begegnet jeden von uns überall, wenn wir genauer hinsehen. Das Gute ist: das Bewusstsein dafür ist gewachsen. Ungleiche Löhne, Gewalt, Alltagssexismus, in unserer digitalisierten Welt ist alles gegenwärtig, ob online oder offline. In unserem letzten Beitrag für die Citicon haben wir beispielsweise auf die sog. „Gender pay gap“ aufmerksam gemacht, denn Ingolstadt ist, was das betrifft, bedauerlicherweise die Nummer 1 in Deutschland. Der Equal Pay Day in Ingolstadt (Anm. d. Red.: der Tag, bis zu dem Frauen statistisch umsonst arbeiten, während Männer schon seit dem 1. Januar für ihre Arbeit bezahlt werden) fiel dieses Jahr auf ca. den 11. Mai. Der bundesweite Equal Pay Day war am 10. März. In relativen Zahlen ausgedrückt bedeutet das: Frauen in Ingolstadt verdienen rund 35% weniger als Männer.

Mansplaining, sexistische Werbung, klischeehafte Rollenbilder – oft sind es die kleinen Dinge im
Alltag, in denen sich die großen Probleme deutlich machen. Wo habt ihr selbst schon im Alltag
Sexismus erfahren oder wo erlebt ihr ihn regelmäßig?
NICO: Auf der Straße, im Berufsleben und auch online. Wer heutzutage noch sexistische Werbung oder Produkte produziert, wird unmittelbar dafür kritisiert. Wie zum Beispiel kürzlich, als die „Pinky Gloves“ in einem bekannten TV Format beworben wurden. Hier wurde ein Produkt von Männern für Frauen entwickelt. Unter marktwirtschaftlichen Voraussetzungen hätten sie vermutlich ohnehin schnell die Bühne verlassen, da es für dieses Produkt bei dem Großteil der Frauen gar kein Bedürfnis gibt. Problematischer als das Produkt war jedoch das Marketing: Die von Ihnen entwickelten pinken Plastikhandschuhe sollen Frauen dabei helfen, die Periodenprodukte zu wechseln und – zumindest aus Sicht dieser Männer – in pinkem Plastik verpackt zu entsorgen. Dieses Pinkwashing und die damit verbundene Tabuisierung von Menstruation ist sexistisch.

„Würdest du dasselbe
einen Mann auf genau diese Weise fragen?
Wenn die Antwort „Nein“ ist, dann war das sehr wahrscheinlich sexistisch“

Inspiration

„We should All be Feminists“ ist ein Werk über den modernen Feminismus des 21. Jahrhunderts. Nico und Sonsi empfehlen es als Einstieg in das Thema.

Wie könnte man den Sexismus aus dem Alltag herausbekommen? Was kann jede*r Einzelne tun?
NICO & SONSIi: Die aus unserer Sicht bewährteste Methode ist, darauf aufmerksam zu machen. Unser Motto ist: Sicherheit durch Sichtbarkeit. Je öfter wir diese Missstände ansprechen, desto mehr Menschen werden sich damit beschäftigen und desto sicherer fühlen sich die Betroffenen auch darüber zu sprechen. Und das ist nicht nur die Aufgabe der Frauen, sondern auch der Männer. Es geht hier nicht darum, „Verbote“ zu definieren, wie man sich verhält oder wie man kommuniziert, sondern ein Bewusstsein dafür zu schaffen, ob das angemessen ist oder nicht. In einem unserer vergangenen Podcasts haben wir folgendes gesagt: Würdest du dasselbe einen Mann auf genau diese Weise fragen? Wenn die Antwort „Nein“ ist, dann war das höchstwahrscheinlich sexistisch. Beispiele dafür gibt es genug: „Ich finde das super, wie du deine Karriere und dein Familienleben unter einen Hut bringst“, „Die Frauen, die ich kenne, waren nicht so gut in Mathe“, oder „Wie überlebst du als Frau in dieser männerdominierten Branche?“. Das gilt im Übrigen für jedes Geschlecht, nicht nur Männer können sexistisch sein.

Bei einem Liveauftritt im letzten Jahr habt ihr einen interessanten Punkt angebracht: Schon bei der
Stadtplanung werden häufig die Bedürfnisse der Frauen vernachlässigt, weil die Entscheider in
diesem Bereich oft Männer sind. Welche Beispiele habt ihr dafür?
SONSI: Als Beispiele haben wir die prekäre Situation in öffentlichen Sanitäranlagen angesprochen, oder aber auch die öffentliche Verkehrsanbindung. Der öffentliche Nahverkehr wird statistisch gesehen häufiger von Frauen benutzt. Hier hatte Ich ein gutes Beispiel. Ich habe nahe der Autobahnausfahrt Nord gewohnt und im Süden Ingolstadts gearbeitet. Obwohl die Luftlinien-Entfernung ca. 3 km entsprach, war die Anbindung mit den öffentlichen Verkehrsmitteln eine Odyssee durch die gesamte Stadt. Der Grund dafür ist unser zentral ausgerichtetes Netz der Infrastruktur. Egal, wohin wir wollen, müssen wir meist erst in den Stadtkern, um von dort aus in die gewünschte Richtung weiterzufahren. Dies könnte man verbessern, indem man mehr vertikale und horizontale Knotenpunkte einrichtet.

Seid ihr nach dem Auftritt mit der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt in Verbindung geblieben?
Habt ihr das Gefühl, dass eure Anliegen gehört wurden und werden?
NICO & SONSI: Das sind wir tatsächlich bis heute. Die anschließende Diskussion und das Interesse der Gleichstellungsstelle in Ingolstadt hat gezeigt, dass es wichtig ist, auf eine konstruktive Art und Weise über Gleichberechtigung zu sprechen. In den seltensten Fällen unterstellen wir den Entscheidungsträgern „böse“ Absichten. Meistens werden Entscheidungen aus Unwissenheit darüber getroffen, ob oder inwiefern sie diskriminierend sind. Daher ist es für uns weiterhin wichtig, die Themen anzusprechen, aber auch mögliche Lösungen zu diskutieren.

„Bist du für Gleichberechtigung?
Dann bist du auch ein*e Feminist*in.“

Nico und Sonsi bei ihrem Auftritt auf dem „Stadturlaub“ 2020

Wie reagieren Fremde auf euch, wenn ihr das erste Mal erzählt, dass ihr Feministinnen seid?
NICO: Der Ruf einer Männerhassenden, alleinlebenden und unrasierten Feministin scheint sich mittlerweile zu ändern (lacht). Das F-Wort schreckt bedauerlicherweise immer noch ab, aber im Endeffekt geht es uns um Gleichberechtigung. Die Frage ist daher: Bist du für Gleichberechtigung? Dann bist du auch ein*e Feminist*in. Die Bezeichnung dafür ist nicht wichtig, es ist der Weg dahin und letztendlich das Ergebnis, das zählt.

Engagiert ihr euch auch abseits des
Podcasts für den Feminismus?
SONSI: Bei der Initiative „It’s just Feminism“ machen wir auch mit. Durch die feministische Woche 2021 sind wir in Kontakt mit anderen feministischen Organisationen und Initiativen gekommen. Diese Vernetzung und Zusammenarbeit soll auch in Zukunft mit Leben gefüllt werden, sofern sich die COVID-Situation verbessert. In Ingolstadt habe ich mit noch zwei anderen Frauen „Catcalls Of Ingolstadt“ gegründet, eine Aktion gegen Straßenbelästigung. Auch mit den Feminist*innen in Eichstätt „GemEInsam gegen Sexismus“ sind wir vernetzt. Ansonsten haben wir unsere monatliche Kolumne im Magazin „Citicon“. Ich persönlich bin auch in der Arbeit sehr aktiv, unter anderem als Kernteammitglied verschiedener Mitarbeitendenetzwerke wie „queer@audi“ und „dads@audi“. Auf diese Weise leiste ich meinen Beitrag für Vielfalt in der Firma und darüber hinaus.

Welche Bücher oder Filme würdet ihr empfehlen, um in das Thema einzusteigen? Welche Bücher
oder Filme oder auch Persönlichkeiten haben euch selbst geprägt?
SONSI: Pink Sari Revolution von Amana Fontanella-Khan war unser erstes gemeinsam gelesenes Buch und war die Inspiration unseres ersten Podcasts. Wenn Männer mir die Welt erklären von Rebecca Solnit und Unsichtbare Frauen von Caroline Criado-Perez sind sehr gut, aber der beste Einstieg wäre We Should All Be Feminists von Chimamanda Ngozi Adichie, das gibt es auch als TED-Talk-Video. Zu Filmempfehlungen, oder eher Serien, sind wir froh, dass die Gender-Perspektive immer präsenter im Mainstream ist. Es gibt neue Superheldinnen wie Jessica Jones oder klassiche Modelle wie Wonderwoman, die wieder aktuell werden, und sogar bei The Queens Gambit oder Cable Girls gibt es starke Noten von Feminismus.

Unterwegs auf dem Ingolstädter CSD
Sonsi bei einer Kundgebung vor dem Ingolstädter Stadttheaterim Rahmen des Weltfrauentags

Würdet ihr euch wünschen, dass sich noch mehr Prominente bzw. Menschen mit einer großen
Reichweite für den Feminismus stark machen?
NICO: Das tun doch viele Politiker*innen vor dem Wahlkampf (lacht). Spaß beiseite: Es gibt bereits viele Prominente auf der ganzen Welt, die sich aktiv dafür einsetzen und diese Zahl ist steigend. Diversität gehört zu einer nachhaltigen und wettbewerbsfähigen Gesellschaft dazu, das belegen auch zahlreiche Statistiken und Studien. Was wir uns wünschen, ist weiterhin die Offenheit, so wie hier in diesem Interview, darüber zu sprechen. Ein offener Austausch sorgt dafür, dass viele Vorurteile und Missverständnisse beseitigt werden können.

Manch ein Unternehmen nutzt Begriffe wie Empowerment, um damit Geld zu machen. Wie steht ihr
zu der Kommerzialisierung des Feminismus – ist sie trotz der schlechten Intention hilfreich für die
Bewegung oder schadet sie ihr im Endeffekt nur?
NICO: Offensichtlich sind wir keine Fans von Pinkwashing oder Ähnlichem. Allerdings sind wir auch nicht realitätsfern. Wenn das der Beitrag zu einer gleichberechtigten Gesellschaft ist, dann können wir das nur befürworten. Wichtig hierbei ist es, Diversität und Gleichberechtigung auf allen Ebenen zu schaffen und nicht nur auf den Chefetagen. Daher wissen wir den Anstoß zur Debatte zu schätzen, manchmal ist das, was es verursacht, wichtiger als das, was dahintersteht.

Deutschland ist ein Land, in dem die Gleichberechtigung – zumindest vor dem Gesetz – sehr weit
vorangeschritten ist. In vielen anderen Ländern werden Frauen aber als minderwertig betrachtet und
unterdrückt. Was glaubt ihr, werden wir irgendwann in einer Welt leben, in der Mann und Frau
absolut gleichwertig behandelt werden und Sexismus kein Thema mehr ist?
NICO & SONSI: Gleichberechtigung ist für uns keine Glaubensfrage. Gleichberechtigung ist das Resultat einer gemeinsamen Anstrengung. Offensichtlich können diese Anstrengungen nicht nur von Frauen unternommen werden, sondern von der gesamten Gesellschaft. Daher hoffen wir, dass ihr auch mit anderen Interviewpartnern über genau diese Frage sprecht. In der Zwischenzeit bemühen wir uns weiterhin um unseren Beitrag dazu.

Nico und Sonsi, vielen Dank für das Gespräch.

Hier geht’s zur ersten Folge des Podcasts Vitamin F von Nico und Sonsi:
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