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„Schon nach der ersten Reise nach China war ich verliebt“
Wie fühlt es sich an, in China zu leben? In diesem Land der Superlative, das sich rasant entwickelt und mittlerweile schon über 1,4 Milliarden Menschen beherbergt? Elena Christmann hat 10 Jahre lang in China gewohnt und gearbeitet, sie hat das Land und die Menschen kennengelernt. Im espresso-Interview berichtet sie von ihren Erlebnissen und räumt mit dem ein oder anderen Vorurteil auf.
Elena, du hast lange Zeit in China gelebt. Was vermisst du am meisten, wenn du heute an China denkst?
Ich vermisse die chinesische Küche sehr. Die gleiche Antwort auf diese Frage höre ich auch oft von meinen chinesischen Freunden, die im Ausland leben. In China gibt es eine bunte Esskultur und die Vielfalt ist erstaunlich. Das Essen unterscheidet sich von Region zu Region, von Provinz zu Provinz und manchmal auch von Dorf zu Dorf. Ein häufiges Vorurteil ist, dass die chinesische Küche hauptsächlich scharf ist. Tatsächlich kann sie scharf, salzig, sauer, süß und sogar bitter sein.
Ursprünglich kommst du aus Russland, wo du geboren und aufgewachsen bist. Was hat dich dazu bewegt, Russland zu verlassen und nach China zu ziehen?
Meine Entscheidung, nach China zu ziehen, war wohl überlegt. Bevor ich 2010 nach Peking zog, hatte ich schon Chinesisch an einer Universität studiert, drei Sprachpraktika in China gehabt, vier Jahre in einem Unternehmen gearbeitet und im Zuge dieser Arbeit regelmäßig Geschäftsreisen nach China gemacht. Mein Traum war es schon immer in China zu leben, um mein Chinesisch auf ein professionelles Niveau zu heben. Ich kündigte meinen Job, fand eine gute Sprachschule, mietete ein Zimmer von einem chinesischen Studenten, bekam ein Visum und flog mit einem Koffer und dem Vertrauen, dass dies die beste Entscheidung in meinem Leben war, nach Peking. Rückblickend war es für mich die richtige Entscheidung.
„Ich kündigte meinen Job, mietete ein Zimmer von einem chinesischen Studenten und flog mit einem Koffer und dem Vertrauen, dass dies die beste Entscheidung in meinem Leben war, nach Peking.“
Hattest du schon immer eine Faszination für China?
Ich kann nicht sagen, dass ich seit meiner Kindheit von China geträumt habe. Ich interessierte mich für Asien im Allgemeinen, ich hörte viel über die Erfolge der chinesischen Wirtschaft und nachdem ich eine Doku über die chinesische Schrift gesehen hatte, war ich von dieser begeistert. Ab dem Jahr 2000 nahm das Interesse an China in Russland stark zu, auch in meiner Stadt, in welcher ein Studiengang zu den Wirtschaftswissenschaften mit der Zweitprache Chinesisch angeboten wurde, den ich dann auch belegte. Und schon nach der ersten Reise nach China für ein Praktikum war ich total schockiert und gleichzeitig in China verliebt. Seitdem ist mein persönliches und berufliches Leben eng mit China verbunden.
Welche Erinnerungen verbindest du mit deiner Zeit in Peking?
Ich erinnere mich sehr gerne an meine Zeit in Peking, da diese Jahre zu den schönsten in meinem Leben gehören! Nach einem Jahr intensiven Chinesischunterrichts habe ich einen Job im Bereich der Unternehmensentwicklung in einer Pekinger Modefirma angenommen. Während meiner 6 Jahre in Peking konnte ich viele interessante Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern der Welt kennenlernen, dabei sind auch viele enge Freundschaften entstanden, welche bis heute noch Bestand haben. Darüber hinaus habe ich auch meinen Ehemann dort kennengelernt.
Wie war für dich die Anfangszeit in China? Gab es Dinge, die du erst neu lernen musstest?
Peking ist eine riesige Stadt mit 20 Millionen Einwohnern. Anfangs war es schwierig, sich an die Größe der Stadt, den damit verbundenen Wegzeiten und an die Menschenmassen auf den Straßen und in der U-Bahn zu gewöhnen. Darüber hinaus unterscheidet sich die Komfortzone in China deutlich von der im Westen, was im öffentlichen Verkehr besonders unangenehm ist, da die Leute aus Gewohnheit auch in einem halb leeren Wagon nahe beieinander stehen, über die Schulter auf dein Telefon gucken oder dich einfach nur die ganze Fahrt lang genau beobachten. Um diesem Phänomen zu entgehen, habe ich meine Arbeitszeit entsprechend angepasst, um antizyklisch zur Rushhour zu fahren. Im Allgemeinen muss ein Ausländer in China auf die erhöhte Aufmerksamkeit der Anwohner vorbereitet sein, Peking und Shanghai sind weniger besorgt, aber in vielen anderen Städten ist es sehr schwierig, unbemerkt zu bleiben. Aber nach der Rückkehr in seine Heimat muss man sich an das unsichtbar sein erst einmal wieder gewöhnen.
„Eines der Hauptmerkmale des modernen China, das ich sehr liebe, ist die Begeisterung für Technologie“
Changchung: Die Stadt ist bekannt dafür, dass sie den Palast des letzten Kaisers Pu Yi beherbergt. Außerdem befindet sich hier das größte produzierende Audiwerk Chinas.
Was hast du in China am liebsten als Ausgleich zur Arbeit unternommen?
Peking ist eine moderne internationale Metropole, hier gibt es für jeden Geschmack Zeitvertreib. Normalerweise traf ich mich nach der Arbeit mit Freunden in kleinen authentischen Cafés und Bars in den Pekinger Hutongs, den traditionellen Altstadtgassen, probierte verschiedene Restaurants aus oder spazierte durch die Altstadt. An den Wochenenden besuchten wir oft Konzerte, in den Sommermonaten unterschiedlichste Musikfestivals oder verbrachten den Tag bei einem Picknick auf der Chinesischen Mauer. Mindestens einmal in der Woche ging ich zu einer traditionellen chinesischen Massage. In Changchun konnte ich meine Leidenschaft für das Fotografieren so weit entwickeln, dass ich sogar für Firmenveranstaltungen gebucht worden bin. Das Fotografieren in China bereitete mir sehr viel Freude, da die Leute dort sehr offen dafür sind und sich darüber freuen, wenn sie abgebildet werden
Welche Vorurteile gegenüber China haben sich als falsch herausgestellt?
Ein häufiges Vorurteil ist, dass China ein technologisch rückständiges Land ist. Tatsächlich eines der Hauptmerkmale des modernen China, das ich sehr liebe, ist die Begeisterung für Technologie. Alles Neue ist für die Menschen von großem Interesse und wird blitzschnell in den Alltag eingeführt. Zum Beispiel wurden Ende 2015, als ich Peking verlassen habe, sowohl EC-Karten als auch Bargeld noch verwendet. Nach 2 Jahren, als ich nach Changchun zog, änderte sich die Situation dramatisch – alle Zahlungen erfolgen jetzt über das Telefon. In den drei Jahren meines Lebens in Changchun habe ich nur ein paar Mal Bargeld verwendet, die Bankkarte lag nur zu Hause herum – ich habe überall über die Anwendung auf meinem Telefon bezahlt. Sogar Straßenmusiker geben anstelle eines Hutes zum Sammeln von Münzen den QR-Code ihrer elektronischen Brieftasche an, auf den eine Spende überwiesen werden kann. Anderes Beispiel: Vor einem Jahr, nicht weit von meiner Arbeit in Changchun entfernt, wurde ein Restaurant eröffnet, in dem Roboter anstelle von Kellnern Essen servieren. Das fand ich total cool!
Welche Klischees über China haben sich bewahrheitet?
Menschenmengen. Im Geschäftsviertel von Peking gab es während der Hauptverkehrszeit an der U-Bahn-Station Guomao beim Übergang von einer U-Bahn-Linie zur anderen einen berühmten Stau von Menschen, in dem man leicht 20 bis 30 Minuten stecken bleiben konnte. Der Durchgang, ungefähr 8 Meter breit und mehrere zehn Meter lang, war vollständig mit Menschen gefüllt, so dass jeder stand und weder vorwärts noch rückwärts gehen konnte.
„Eine typische chinesische Gewohnheit ist das Power-Nap. Bei uns im Büro befand sich eine kleine Lounge mit bequemen Sesseln, in der man nachmittags ein Nickerchen machen konnte.“
2018 bist du nach Changchun gezogen. Wie hast du die Stadt erlebt?
Mein erster Besuch in Changchun war schon im Jahr 2004, danach war ich auch mehrmals auf Geschäftsreisen dort. Im Laufe der Jahre hat sich die Stadt sehr zum Positiven verändert. In Gegensatz zu früher ist Changchun jetzt eine moderne chinesische Metropole, in welcher sich auch ein Ausländer sehr gut zu Recht findet. Aufgrund der Partnerschaft zwischen VW und einem chinesischen Automobilunternehmen gibt es in Changchun eine starke deutsche Gemeinschaft – es gibt eine deutsche Bäckerei, mehrere deutsche Restaurants, einen deutschen Kindergarten und das sogenannte deutsche Dorf, in dem Mitarbeiter deutscher Unternehmen mit ihren Familien zusammenleben.
Was war der Grund, dass dein Weg dich jetzt nach Ingolstadt geführt hat?
Mein Mann ist ein Schanzer. Wir haben uns in China kennengelernt und anschließend in Rahmen eines Urlaubs im Rathaus in Ingolstadt geheiratet.
Wie unterscheidet sich dein Leben hier in Ingolstadt von dem Leben in China?
Das Leben in Ingolstadt ist viel ruhiger und gelassener als in der 20-Millionen-Metropole Peking und der 8-Millionen-Metropole Changchun. Hier fahre ich gerne mit dem Auto, in China habe ich mich nur einmal ans Steuer gesetzt. Und nicht nur wegen des viel intensiveren Verkehrs, sondern auch wegen der allgegenwärtigen Verfügbarkeit von Taxis. Ansonsten habe ich in den letzten Jahren in China die Gewohnheit des Bargeldes völlig verloren, aber hier in Ingolstadt benötigt man Bargeld doch manchmal wieder, um zum Beispiel für das Parken zu bezahlen.
Gibt es typische chinesische Angewohnheiten, die du mittlerweile übernommen hast?
Viel Tee bei der Arbeit zu trinken. Im chinesischen Büro bereitet man sich zu Beginn des Arbeitstages als erstes einen Becher oder noch besser eine Thermoskanne Tee vor, welche man dann den ganzen Tag trinken kann, wobei man von Zeit zu Zeit kochendes Wasser hinzufügt. Meine Kollegen in Changchun haben mir auch beigebracht, je nach Jahreszeit unterschiedlichen Tee zu trinken, im Sommer hellere blumige und grüne Sorten, im Winter stärkere schwarze. Jeder in unserem Büro hatte für alle Anlässe immer mindestens 3-4 Sorten Tee an seinem Arbeitsplatz. Tee wird übrigens in China normalerweise ohne Zucker und Zitrone getrunken.
Eine andere typische chinesische Gewohnheit ist das Power-Nap. Bei uns im Büro befand sich eine kleine Lounge mit bequemen Sesseln, in der man nachmittags ein Nickerchen machen konnte. Anfangs war ich skeptisch gegenüber der Idee, im Büro zu schlafen, aber als ich es versuchte, stellte ich fest, dass ich mich nach einem Nickerchen viel energievoller fühlte und fing an, es ein paar Mal im Monat zu üben.
Elena, vielen Dank für diese spannenden Eindrücke aus dem fernen China und alles Gute für deinen weiteren Weg.
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