Schau ned um, de Luz geht rum

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Schau ned um, de Luz geht rum

Frieder Leipold, Historiker und Stadtführer | Fotos: Stefanie Herker

„Bürgermeister, leck mich am Arsch!“ – Mit diesem Ausruf sorgt man in der heutigen Zeit maximal für irritierte Blicke, früher hingegen kam man damit nicht ganz ungestraft davon. „1770 war das Strafmaß dafür zwei Stunden am Pranger stehen.“ Kuriositäten wie diese gehören zu Frieder Leipolds Repertoire bei Stadtführungen wie die Fackel zum Winter: Der promovierte Kunsthistoriker, wissenschaftliche Mitarbeiter der LMU München und leidenschaftliche Geschichtenerzähler führt in Pfaffenhofen zu den Orten, aus denen die Vergangenheit spricht – oder ein blutiges Bein in die Stube hält.

VON STEFANIE HERKER

Wer mit ihm zur Weihnachtszeit durch die dunklen Gassen der Stadt wandert – mit Fackel in der Hand – fühlt sich nicht nur zurückversetzt in die Zeit der Perücken und Revolutionen, sondern auch in eine Welt voller Mythen, Sagen und Grausamkeit.

Schon in seiner Zulassungsarbeit an der LMU widmete er sich der Schlacht bei Pfaffenhofen 1745. Doch viel lieber erzählt er das Unkriegerische: das Abseitige, Skurrile, die kleinen Geschichten, bei denen man automatisch stehen bleibt und kurz wieder Kind wird – mit offenem Mund und einem Hauch Gänsehaut. Vor allem kommen ihm da der Bluadige Thamerl, die Luz, die Wilde Jagd oder aber auch die Dämonen vor der Stadtmauer in den Sinn.

Dämonen vor der Stadtmauer

Die Reste von Stadtmauern in unseren Städten sind uns heutzutage fast heilig. Auch damals, als alles noch eine wildere Ordnung hatte, war die Stadtmauer eine wichtige Grenzlinie. Früher bedeutete sie: „drinnen Sicherheit – draußen Gefahr in der wildesten Form. Dort lauerten Dämonen, Gespenster und Waldgeister“, erklärt Frieder. In Pfaffenhofen war die Weilhammer Klamm etwa so ein Ort. Ein Un-Ort, ein Grenzort, an dem das Dunkle dichter war als anderswo. „Innerhalb der Pfaffenhofener Stadtmauer war man davor geschützter.“ Kein Wunder, dass sich um die Winterzeit hier Mythen verdichteten. Denn der Advent war früher nicht die „Stade Zeit“, so wie wir ihn heute romantisieren. Es war die raueste Phase des Jahres: kalt, dunkel, gefährlich. Und was wollte man mit den Geschichten, die man sich erzählte, eigentlich bewirken? „Sie sollten warnen und schützen. Schließlich ist diese magische Zeit zwischen den Jahren tatsächlich eine ganz besondere“, schmunzelt Frieder, als hätte er die Geister schon selbst erlebt. „Manchmal wollte man die Kinder aber auch schlicht erschrecken.“

Der Betläuter

Viele von uns kennen ihn vielleicht noch aus der eigenen Kindheit. Wer nach dem letzten Abendläuten noch nicht zu Hause war, riskierte, vom Betläuter oder dem Nachtgloar geholt zu werden. Diese Figur – halb Mahnung, halb Mythos – jagt bis heute wohliges Grauen ein. Sie erinnert daran, dass Dunkelheit Regeln hatte. Und, dass die Kinder, die sich nicht daran hielten, eben „abgeholt“ wurden.

Die Luz

Neben Krampus und Knecht Ruprecht gab es die Lucia, eine Kinderschreckfigur, die man so wohl nirgends sonst in dieser Intensität findet. „Der Legende nach war Lucia sehr gläubig. Sie riss sich ihre eigenen Augen aus, um sich ganz Gott zu widmen und schickte sie ihrem heidnischen Verehrer, dem ihre Schönheit zu viel bedeutete. Darum wird sie bis heute mit einem Tablett voller Augen dargestellt.“ Am Abend des 12. Dezembers geht sie um – und ihre Aufgabe war nichts für schwache Nerven. „Man erzählte sich, sie würde Kindern die Bäuche aufschlitzen und mit Werch, also Hanf, wieder ausstopfen – so wie bei Puppen.“ Der Mythos, der zeigt: Die Weihnachtszeit war nicht immer nur geprägt von Besinnlichkeit. Es schwebte auch ein pädagogisches Schreckgespenst durch die Stuben.

Der Bluadige Thamerl – die Thomasnacht

Am 21. Dezember, der längsten Nacht des Jahres, taucht der Bluadige Thamerl auf. Ein Wesen, das polternd mit einem Hammer an Türen klopf­te und sein blutverschmiertes Bein in die Stuben streckte. Seine Wurzeln? „Vermutlich lag es an dem Blut, dass Metzger nach der Schlachtung (daher auch der blutige Hammer) am Thomasabend noch an sich hatten und damit in die Häuser kamen.“

Die Wilde Jagd

Man glaubte, dass in den Rauhnächten ein wütender Geisterzug über Himmel und Wälder fegt. Rund um dieses Phänomen entstanden zahlreiche Bräuche. Türen und Fenster wurden fest verschlossen, damit die Geister keinen Eintritt fanden. Man stellte Schalen mit Wasser oder Getreide vor die Häuser, um die wilden Reiter zu besänftigen. Und Kinder wurden streng ermahnt, nach Einbruch der Dunkelheit zuhause zu bleiben – denn wer der wilden Jagd in die Quere kam, so hieß es, konnte leicht für eine verlorene Seele gehalten werden. „Man sollte auch keine Wäsche zum Jahreswechsel draußen hängen lassen, weil sich die Geister darin verfangen konnten“, erinnert Frieder.
Auch heute noch taucht die Wilde Jagd in seinen Fackelwanderungen auf: ein Echo aus einer Zeit, in der man dem Unbekannten lieber respektvoll Platz machte.

„Weiber Sterbn – koa Verderbn.
Ross Verrecka duad an Bauern schrecka“


Dieses alte Sprichwort erinnert an die damalige Bedeutung der Pferde auf dem Acker. Die Wachsfiguren stehen heute noch im Museum des Café Hipp im oberen Stock.

VOTIVFIGUREN

Gerne schaut Frieder auch im Museum im Haus Hipp, mitten am Pfaffenhofener Hauptplatz, vorbei. Hier öffnet sich eine Tür in eine andere Wirklichkeit. In der kleinen alten Wachszieherei stehen sie noch immer: die Votivfiguren, die Menschen einst der Heiligen Maria schenkten, wenn Krankheit, Unglück oder Angst von ihnen abfiel. „Es hat damals den gesamten Süddeutschen Raum verbunden. Von der Magd bis zum Kurfürst – kaum jemand glaubte nicht an diese Magie. Die Figuren im Museum wirken, als hätten sie ihre eigene Präsenz behalten – stille, gelbliche oder rote Körper, deren durchdringende Wachsaugen einen anstarren, als wären sie echt, aber erstarrt. In den Figuren spiegelt sich das Zittern der Menschen von damals, ihr Aberglaube, ihre Hoffnung, ihre Verzweiflung und ihr Dank. „Damals gab es kein Penicillin. Die Gelübde der Menschen wirkten als Placebo erstaunlich gut. Wer daran geglaubt hat, hat scheinbar die Selbstheilungskräfte seines Körpers aktiviert“, stellt der Historiker fest und verweist auf tausende Danksagungen (Bilder links), die damals niedergeschrieben wurden. 

Ein "Wachsstock" in Form eines Gebetsbuches. Zur Beziehungsanbahnung wurde so ein Wachsstock zum Beispiel vom Knecht an die Magd verschenkt. (Foto: Archiv Hipp)

Wer geheilt war, kaufte bei Hipp ein Bein, ein Herz oder eine ganze Kinderfigur aus Wachs und brachte sie am Altar der Kirche dar. Die Kirche war voller solcher Gaben. „Nach der Opferung wurden sie wieder eingeschmolzen und das Wachs wurde wieder an Hipp geliefert. Modernes Recycling“, erklärt Frieder Leipold. Aus der Wachszieherei und Lebzelterei – zwei Handwerkskünste verbunden im Honig – entwickelte sich bei Hipp die Zuckerbäckerei und schließlich die heutige Konditorei mit Café. Und im Geschenke- und Deko-Shop nebenan finden sich u.a. Kerzen und sogar noch handgefertigte Votivfiguren.

Für Gruppen zwischen 15 und 40 Personen gibt Hans Hipp einen exklusiven Einblick in die traditionelle Wachszieherei.

Exemplarische Danksagungen aus den Kirchenbüchern um 1700 in originaler Schreibe:

1699 Nr. 54 Bd. 2
„Chatarina Wolzhoferin hatte ein kindt, so das fell über das aug gewaxen, Verlobte ein Wäxernen augapfel, ein opfer in stockh, Und ein rosenkranz Zu betten, Vermerkht in einer kurzen Zeit besserung.“

1700 Nr. 81 Bd. 2
„Maria Wenthalerin Von Illminster litte ein knäblein so mit harten seidtenstich geblagt wurde, Verlobt sich mit ein h. Rosenkranz, einem wäxernen Kindl, Und opfer in stokh, ist bald wderum zu seiner gesundheit khomen.“

1700 Nr. 19 Bd. 2
„Maria Zörerin von Pfaffenhouen verlobte Ihr Klaines Kindt, welches wegen einer Leibsunbässlikheit nit an der Muetter trinkhen volte mit Einem wächsenen Kindlein und vächsener Prusst, varauf das Kindt gleich seine Notwendige Narung viderum genossen.“

Wer jetzt Lust auf eine Kuriositätentour oder Fackel-Stadtführung durch Pfaffenhofen bekommen hat, der findet hier weitere Informationen:

www.stadtfuehrungen-pfaffenhofen.de
Telefon: 08441 – 40 55 0 – 0
Kosten: ab 3,00 €, Schüler kostenlos
Dauer: ca. 90 Minuten

Und wer Lust auf ein Stück Kuchen im Angesicht der Wachsfiguren hat:
Haus Hipp, Hauptplatz 6, Pfaffenhofen

Öffnungszeiten der Wachszieherei
Von November bis März immer
Montag bis Sonntag, 9:00 Uhr bis 18:00 Uhr

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