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„Zu 90 Prozent vergieße ich Tränen“

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"Zu 90 Prozent vergieße ich Tränen"

Sarah Baumgartner | Foto: Lena Kreis, aroundthecircle.com

Interview mit einer Hochzeitsfotografin

Wenn Sarah Baumgartner auf einer Hochzeit fotografiert, ist sie mit vollem Herzblut dabei – und mit einem Notfallsäckchen. Was da drin ist und warum sie schonmal ein Tränchen verdrücken muss, erfahrt ihr im Interview.

Sarah Baumgartner

Fotografin | ONE.TWO.TREE.PHOTOGRAPHY

Sarah, du hast 2018 angefangen nebenberuflich zu fotografieren und tust es seit letztem Jahr hauptberuflich. Die Fotografie ist also quasi deine zweite Karriere. Was hast du vorher gemacht?
Ich habe nach dem Abitur eine Ausbildung zur Fachinformatikerin absolviert und arbeitete bei einem IT-Unternehmen in Ingolstadt. Eine ganz andere Ecke also und es kam wirklich anders, als ursprünglich geplant.

War es dir nicht zu riskant, dich ausgerechnet im Corona-Jahr 2020 selbständig zu machen?
Jein. Ich wollte eine berufliche Veränderung und stand zugleich vor der Entscheidung, entweder mit der Fotografie aufzuhören oder dabei zu bleiben. Begonnen habe ich als Landschaftsfotografin. Die erste Kamera habe ich mir 2017 gekauft und bin damit z.B. an den Königssee gefahren. Geplant war damals noch nichts. 2018 kamen die ersten Anfragen von Freunden und Bekannten, ob ich nicht für verschiedene Anlässe fotografieren könnte. 2019 waren es bereits über 20 Hochzeiten, weil es sich so stark herumgesprochen hatte.

Ich habe gemerkt, dass mir das viel mehr taugt, als den ganzen Tag im Büro zu hocken und dabei wenig mit Menschen in Kontakt zu kommen.

Aber natürlich gab es im vergangenen Jahr ab März viele Absagen und Verschiebungen. Zugleich wusste ich aber, dass der Sommer und der Herbst sehr gut gebucht sein würden. Mir gab das die Sicherheit, das Ganze stemmen zu können. Zur Not hätte ich auch in mein altes Berufsfeld zurückkehren können.

Familienshooting

Was hat es mit dem Namen One.Two.Tree.Photography auf sich?
Für mich war klar, dass ich nicht Sarah Baumgartner Fotografie heißen möchte. Das wäre auch problematisch, wenn ich selbst einmal heiraten würde. Die Idee für den Namen hatte meine Cousine. Der Name bezieht sich auf die Bereiche, die ich mit meiner Arbeit abdecke. Ich fotografiere von Einzelpersonen (One) über Paare (Two) bis hin zu dem, womit ich angefangen habe: Landschaften (Tree). “Tree” passt natürlich auch zu meinem Namen Baumgartner.

Was gefällt dir an deiner Arbeit besonders gut?
Es sind mehrere Sachen. Selbst wenn man völlig fertig von einem Shooting oder einer Hochzeit nach Hause kommt, weiß man am Ende des Tages, dass man etwas erschaffen hat. Man hat diese besonderen Momente für immer festgehalten. Es ist somit auch eine Tätigkeit, die einen selbst überdauert – so kitschig sich das auch anhören mag. Außerdem macht man natürlich Menschen glücklich. Ein Rechtsanwalt hat viele Mandanten mit Problemen um sich, ich hingegen habe nur glückliche Menschen um mich herum, die entweder heiraten oder ein Kind bekommen haben.

Einzelshootings

Eine Hochzeit ist ein sehr emotionaler Tag für alle Beteiligten. Wie ist das für dich? Schwappen da schonmal ein paar Gefühle zu dir rüber?
Zu 90 Prozent vergieße ich Tränen bei Hochzeiten. Ich bin nämlich echt eine kleine Romantikerin (lacht). Ich bin auch noch vor jeder Hochzeit nervös und laufe morgens wie ein aufgekratztes Huhn durch die Wohnung und schaue, ob ich wirklich alles eingepackt habe und ziehe mich fünfmal um. Darüber bin ich aber sehr froh, denn wenn das alles alltäglich für mich wäre, wäre es nichts Besonderes mehr und ich wäre nicht mit vollem Herzblut dabei. Das bin ich jedoch.

Für mich ist es eine echte Ehre, bei einer Hochzeit dabei sein zu dürfen. Umso mehr, weil in Corona-Zeiten durch mich ein Gast weniger eingeladen werden durfte.

Mir brennt es schon unter den Fingernägeln, wenn es dieses Jahr endlich wieder losgeht.

Was war der schönste Moment, den du auf einer Hochzeit erlebt hast?
Es bleibt von jeder Hochzeit ein besonderer Moment im Gedächtnis. Bei manchen sind es die emotionalen Trauungen, eine Rede oder wie der Papa reagiert… Oft bin ich ja auch schon bei der standesamtlichen Trauung mit dabei und dann eben bei der kirchlichen. Es ist schön, diesen Prozess mitzuerleben. Es gibt aber keinen übergeordneten Moment, dafür hänge ich viel zu sehr an all meinen Brautpaaren.

Auf deinem Instagram-Kanal sieht man ein lustiges Video von dir – vor und nach einer zehnstündigen Hochzeit. Anfangs noch frisch und voller Elan, danach natürlich völlig geschafft. Bist du immer so lange unterwegs?
Durchschnittlich bin ich zwischen acht und zehn Stunden unterwegs. Das längste waren 16 Stunden – also vom Getting Ready in der Früh bis zum Schluss. Bei der Party am Ende einer Hochzeit bleibe ich mittlerweile aber nur noch eine Stunde. Trotzdem fühlt sich der Tag nach einer Hochzeit wie ein “Katersonntag” an. Man ist von diesen ganzen Emotionen überflutet und natürlich ständig am Schauen, ob jemand weint oder wie jemand reagiert, um es einfangen zu können. Das schafft einen. Am Ende des Tages freue ich mich aufs Bett oder auf die Badewanne.

Du hast vor und während der Corona-Zeit Hochzeiten fotografiert. Welche Unterschiede konntest du feststellen?
Durch den Rückgang an sozialen Kontakten und Feierlichkeiten merkt man, dass die Leute richtig darauf brennen und richtig Bock haben. Allzu große Unterschiede gibt es meiner Meinung nach aber nicht, außer dass die Brautpaare unsicherer sind und sich viele Gedanken machen müssen. Auf der Hochzeit selbst ist jeder froh und freut sich, dass es wieder losgeht. Man weiß es jetzt wieder viel mehr zu schätzen.

Die Hochzeiten wurden gezwungenermaßen kleiner.
Klar, aber Hochzeiten mit über 100 Gästen nehme ich eh nur sehr selten an. Viele Brautpaare sagen auch, dass sie froh waren, dass nur die engsten Freunde mit dabei waren und sie dadurch Zeit für ihre Gäste hatten. Viele sehen es positiv, dass sie gesellschaftlich nicht dazu gezwungen waren, jeden einzuladen. Jeder versteht es jetzt, wenn man nur den engsten Freundes- und Verwandtenkreis einlädt. Dadurch wird es viel intimer.

Hochzeitsshootings

Die meisten Hochzeiten finden in den wärmeren Monaten des Jahres statt. Wie sieht deine Arbeit in den Wintermonaten aus?
So stark ist das gar nicht mehr. Durch Corona ist es jetzt breiter gefächert, etwa zwischen März und November. Die letzte Hochzeit im vergangenen Jahr hatte ich z.B. am 30. Dezember. Dann kommen natürlich noch die Weihnachtsgutscheine und Weihnachtsfotos hinzu. Ich mache auch viele kreative Sachen, zeige Brautpaaren, was möglich ist und führe Vorgespräche für den Sommer. Aktuell ist auch ein großer Babyboom, sodass ich gerade viele Babys und Familien fotografiere. Oft sind das auch Brautpaare der letzten Jahre. Da ist man dann gefühlt schon voll in der Familie intergriert. Eine meiner Hauptbeschäftigungen in den Wintermonaten ist außerdem die Jahresbuchhaltung (lacht).

Mit welchem Gefühl gehst du in die jetzt wieder startende Hochzeitssaison? Corona lässt ja immer noch Vieles im Ungewissen.
Ich gehe mit einem guten Gefühl rein und freue mich total. Meine Brautpaare sagen immer, ich sei der größte Optimist. Aber wenn ich auch noch den Kopf in den Sand stecke, projiziert sich das auf meine Brautpaare. Letztes Jahr wurde innerhalb weniger Wochen die erlaubte Gästezahl wieder nach oben geschraubt. Auf das hoffe ich jetzt wieder. Ich bleibe also die Optimistin und hoffe, dass wir alle so feiern können, wie wir es geplant haben – zur Not finden wir halt einen Plan B. Ich vertraue darauf, dass sich alles zum Guten wendet und versuche das auch auzustrahlen.

Welches Equipment nimmst du mit auf eine Hochzeit?
Trotz meines Informatikhintergrunds bin ich gar nicht so der Technik-Mensch. Ich nehme immer zwei Kameras (Canon 7D Mark 2, Anm.) mit, eine davon als Backup, ein paar Objektive und einen Blitz. Allerdings habe ich ein Notfallsäckchen dabei, mit Taschentüchern, Putzzeug, Nadel und Faden… Man erlebt ja einiges, sogar ein gerissenes Brautkleid gab es schon.

Also war dein Notfallsäckchen schon im Einsatz?
Es war schon alles im Einsatz. Zum Beispiel, wenn die Braut beim Shooting in den Schlamm tritt. Mein Rucksack ist also immer voll, aber wie gesagt gar nicht so sehr mit Technik, sondern mit “Erste Hilfe”-Ausrüstung (lacht).

Paarshootings

Was gibst du deinen Hochzeitspaaren mit auf den Weg?
Viele Menschen schauen zu sehr darauf, was andere über sie denken könnten. Das finde ich immer schade. Eine Hochzeit soll die Paare repräsentieren. Ich frage bei Paar-Shootings immer, ob sie eher die Händchenhalter oder die In-den-Arm-Nehmer sind beim Spazierengehen. Wenn ich Fotos mit einer Umarmung mache, das Pärchen aber lieber Händchen hält und sich hinterher denkt, “das sind wir eigentlich gar nicht”, ist das das Schlimmste, was passieren kann. So ist es auch bei der Hochzeit. Wenn die Leute keine Lust auf einen Gasthof haben, dann sollen sie es im Freien machen. Wenn sie kein Menü wollen und lieber Pizza bestellen, dann bestellen sie eben Pizza.

Die Leute sollen am Ende die Fotos anschauen und sich denken: Geil, das war unsere Party, so wie wir sie uns vorgestellt haben.

Klar inspirieren Instagram und Pinterest immer, aber wenn z.B. dieser Boho-Trend nichts für euch ist, dann macht es nicht. Es soll die Hochzeit der Brautpaare werden und keine für das Instagram-Publikum. Das gebe ich immer mit und hoffe, dass die Leute sich das zu Herzen nehmen.

Was fotografierst du abseits von der Hochzeitsfotografie noch gerne?
Landschaften, Paare, Babys, Babybäuche, Businessbilder für Gründer… also eigentlich alles, was mit Menschen zu tun hat. Ich bin jemand, der es gerne natürlich mag. Bei mir muss das Foto in der Kamera schon gut aussehen, die Bildbearbeitung macht nur noch den Feinschliff. Es ist auch schön, diese Abwechslung zu haben. Bei Hochzeiten ist man die ganzen Stunden auf Zack, bei einem Baby hingegen kann man sich viel mehr Zeit lassen. Die kleinen Hände, die Haare, die Ohren… man hat einfach viel mehr Zeit sich künstlerisch zu entfalten. Ich liebe den Mix aus all dem. Es wird nicht langweilig.

Sarah, vielen Dank für das Gespräch.

alle Fotos: Sarah Baumgartner, One.Two.Tree.Photography

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