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Von Bayern in den Bergurwald Sri Lankas

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Leben für und mit Kindern in Not

Foto: Adobe Stock / sharafmaksumov

Interview – Von Ansbach in den Bergurwald Sri Lankas

Annkathrin Blank, 33-jährige Gymnasiallehrerin aus Ansbach in Mittelfranken engagiert sich seit ihrem ersten Volontariat im Jahr 2006 für den Eichstätter Verein Little Smile und lebt seit fast sieben Jahren im Kinderdorf Mahagedara in Sri Lanka.

© OpenStreetMap

Little Smile in Sri Lanka ist eine vom in Eichstätt geborenen Fernsehjournalisten und Regisseur Michael Kreitmeir im Jahr 1999 gegründete Kinderhilfsorganisation, die sich neben der direkten Hilfe für Kinder in Not auch Projekten im Bereich Gesundheitsversorgung, Bildung, Naturschutz und Werteerziehung widmet. Michael Kreitmeir lebt seit der verheerenden Tsunamikatastrophe im Jahr 2004 dauerhaft in Sri Lanka, hat sein Leben in Deutschland und seine Karriere als Filmemacher aufgegeben, um die Projekte von Little Smile vor Ort aufzubauen und zu leiten. Das Kinderdorf „Mahagedara“ ist der Mittelpunkt und Verwaltungszentrum aller Little Smile Projekte in Sri Lanka, sowie das Zuhause von Michael Kreitmeir und bis zu 100 Kindern und Betreuerinnen.

Annkathrin, wie und wann bist du erstmals auf Little Smile aufmerksam geworden und was hat dich dazu bewogen, dich dort zu engagieren?
Wie viele andere, wollte ich nach dem Abitur eine neue Welt kennenlernen, ich verspürte den Drang als junge Frau, die sich ihrem Privileg Inhaberin eines deutschen Passes zu sein bewusst war, den Fokus von mir selbst und meinen eigenen Sorgen und Wünschen auf andere zu richten.

Ich wollte erleben wie es anderen Menschen auf der Welt geht und hatte den ganz naiven Wunsch einen kleinen Beitrag zu einer „besseren Welt“ zu leisten.

Aus diesem Grund war ich auf der Suche nach einem gut geführten Kinderhilfsprojekt. Ich erfuhr von einer Bekannten von Little Smile, die mir von ihrem Volontariat dort erzählte. Davon neugierig geworden, habe ich die Homepage und die Filme von Little Smile genau studiert, die Geschichten vom Kinderdorf und Michael Kreitmeir haben mich bewegt und schon aus der Ferne für eine gewisse Zeit mit hineingenommen in eine mir unbekannte Welt, die ich nun unbedingt auch selbst entdecken wollte.

Du warst bereits mehrmals in Sri Lanka.
Mein erstes Volontariat war 2006/2007 für 6 Monate, es war eine Zeit, während an den Projekten nach der Tsunamikatastrophe (2. Weihnachtstag 2004) auf Hochtouren gearbeitet wurde. Während ich danach mein Studium in München begonnen habe, stand die Zeit in Little Smile nicht still, ich konnte von Deutschland aus mitverfolgen wie die unzähligen Projekte in dieser Zeit gewachsen sind. Schließlich habe ich mich entschieden Little Smile 2009 erneut zu besuchen, weil ich neugierig war, wie Michael Kreitmeir die unsäglichen Schwierigkeiten und Probleme gemeistert hat. In den folgenden Jahren habe ich in Little Smile regelmäßig für 1-2 Monate in den Semesterferien mitgelebt. Bei jedem neuen Erleben wurde ich ein Stück tiefer in den Strudel der Begeisterung von Little Smile gezogen. Insgesamt waren es dann 7 Aufenthalte, zusammen rund 2 Jahre in Sri Lanka, bis ich entschieden habe, es nach Ende meines Studiums zu probieren, mit dem Leben in Little Smile, ohne Rückflugticket.

Du wirst also dauerhaft dort bleiben?
Mein Leben in Sri Lanka ist nicht immer leicht und von vielen Höhen und Tiefen geprägt, aber es gibt für mich keinen besseren und sinnvolleren Lebensentwurf als täglich zu versuchen die uns anvertrauten Kinder in eine bessere Zukunft zu begleiten – kurz und gut – nein, ich habe keine Rückkehr nach Deutschland geplant.

Ostern trotz Ausgangssperre: Annkathrin verteilt Ostereier.

Wie viele Kinder sind derzeit bei euch?
Im Kinderdorf leben zurzeit 98 Kinder zwischen 6 und 20 Jahren in 7 Kinderhäusern, ungeachtet ihrer Religion oder ethnischen Herkunft, gemeinsam mit je ein oder zwei Betreuerinnen. In Little Smile wohnen also sowohl tamilische als auch singhalesische Kinder und Betreuer, Buddhisten, Hindus und Christen.

Welche Kinder kommen ins Kinderdorf?
Die Kinder, die in Little Smile aufgenommen werden, sind in der Regel Sozialwaisen und werden entweder von einem Elternteil oder Verwandten ins Kinderdorf gebracht, oder über das Jugendamt mit Gerichtsbeschluss eingewiesen. Die meist alleinerziehenden Elternteile oder Großeltern sind nicht in der Lage, sich um ihre Kinder zu kümmern, genügend Geld für die ganze Familie zu verdienen und die Sicherheit, vor allem die der Mädchen zu gewährleisten.

Wie kann man sich einen normalen Tagesablauf im Kinderdorf vorstellen?
Der Tagesablauf unserer Kinder unterscheidet sich kaum vom Alltag eines Kindes in einer Familie. Die Kinder besuchen die staatliche Schule, kommen nach Hause, essen, machen Hausaufgaben, helfen im Haushalt mit, waschen, spielen und gehen ins Bett. Durch die große Gruppe ist unser Tag aber klarer strukturiert als in einer kleinen Familie.

Was sind deine Aufgaben?
Ich kümmere mich unter anderem um den Einkauf und die Lagerhaltung im Kinderdorf. Vor allem in unserer ländlichen Gegend in der Uva-Provinz kann man nicht davon ausgehen, dass jederzeit alles in den kleinen Dorf-Läden verfügbar ist, deshalb ist eine vernünftige Lagerhaltung unerlässlich. Des Weiteren bin ich zusammen mit Michael Kreitmeir immer dort gefragt, wo Hilfe benötigt wird. Bei mehr als 100 Personen in deinem „Dorf“ gibt es immer Probleme zu lösen, es gibt Spannungen, immer ist jemand krank und braucht besondere Fürsorge, jeden 3. Tag hat jemand Geburtstag und erwartet und verdient besondere Aufmerksamkeit… uns wird es da nie langweilig.

Kindergartenkinder mit Anka - wie Annkathrin mit Spitznamen heißt.
Wocheneinkauf während der Corona-Krise

Welche Einschränkungen gibt es für die Gesellschaft durch die Corona-Krise?
Sri Lanka verfolgt im Kampf gegen Covid-19 die Methode „hammer and dance“. Schon bei den ersten bekanntgewordenen Fällen hat die Regierung drastische Maßnahmen unternommen, um die Verbreitung von Covid-19 einzudämmen. Die Schulen haben seit Mitte März geschlossen und seitdem herrscht auch absolute Ausgangssperre, Zuwiderhandlungen werden hart bestraft. Zweimal pro Woche wird die Ausgangssperre für einen halben Tag gelöst, damit die Leute das Notwendigste besorgen können. Das Reisen zwischen den Provinzen und Distrikten im Land ist untersagt, es gibt nur einige Sonderregelungen und Genehmigungen, damit die Grundversorgung im Land gewährleistet werden kann.

Wie wirkt sich das auf die Ärmsten der Gesellschaft aus?
Gerade die Menschen, die als Tagelöhner sowieso am absoluten Existenzminimum leben, leiden sehr unter dieser Krise. Sie leben von der sprichwörtlichen Hand in den Mund und haben keinerlei Rücklagen. Ohne Arbeit bekommen sie in diesen Tagen kein Gehalt, wissen also nicht, wovon sie ihre Familien ernähren sollen. Die staatlichen Hilfsprogramme mit Geldern aus dem Ausland sind jedoch mit großem bürokratischen Aufwand verbunden, den gerade die Bedürftigsten nicht leisten können. Little Smile hilft hier vor allem Frauen und Senioren in unserer Region mit einem großen Sozialprogramm.

Wie groß die Spannungen sind, die es nun zusätzlich während der Ausgangssperre in den sowieso schon überfüllten und sozial angespannten tamilischen Estate Häusern gibt, zeigt die täglich steigende Zahl der Hilfesuchenden, die an unser Tor klopfen. Und auch in diesem Fall wird sich Little Smile auch dann noch um die Opfer kümmern, wenn die Welt wieder über andere Schlagzeilen berichtet.

Ein ausführlicher Bericht über Covid-19 in Sri Lanka von Michael Kreitmeir findet sich auf der Homepage von Little Smile.

Was hat sich durch Covid-19 im Kinderdorf verändert? Welche Schwierigkeiten gibt es?
Da wir mit 12 ha mehr als genügend Platz zum Spielen und Toben haben, frühzeitig genügend Vorräte angelegt haben und uns über soziale Kontakte bei mehr als 100 Menschen nicht beklagen können, trifft uns die Ausgangssperre im Kinderdorf nicht wirklich, im Gegenteil: Da das öffentliche Leben still steht, können Michael Kreitmeir und ich uns endlich ganz und gar den Kindern widmen. Natürlich ist es aber nicht leicht so viele energiegeladene Kinder mit ganz unterschiedlichen und individuellen Interessen und Vorlieben zur Freizeitgestaltung 24h, 7 Tage die Woche sinnvoll zu beschäftigen.

Hast du einen Einblick, wie das Verhältnis der Gesellschaft zu „Corona“ ist?
Gerade in unserer bildungsschwachen Gegend ist Covid-19 für die Menschen ein unsichtbarer, unbekannter Feind, vor dem man sich fürchtet. Man weiß zu wenig über die Krankheit, ihre Ansteckung und ihren Verlauf, um sich rational und reflektiert mit dem Thema zu beschäftigen, es kursieren viele Gerüchte, etwa dass jeder „Weiße“ mit Covid-19 infiziert sei. Da die meisten Menschen jedoch nun maximal gefordert sind ihren Alltag zu meistern, vor allem finanziell, tritt die Sorge um die Krankheit selbst eher in den Hintergrund.

Bekommt das Kinderdorf staatliche Unterstützung?
Im Gegenteil, seit vielen Jahren unterstützt Little Smile staatliche Institutionen, vor allem Schulen in der Region, denen es am Nötigsten fehlt. Little Smile baut Toiletten, stiftet Schulmöbel, besorgt Schulmaterial, stellt Lehrkräfte ein, uvm. Auch während der Covid-19-Krise übernimmt Little Smile einen Teil der Aufgabe des Staates, nämlich sich um die Menschen und ihre Familien zu kümmern, die als Tagelöhner in dieser Krise nicht überleben könnten.

Michael Kreitmeir inmitten einer Kinderschar.

Was macht dir bei deiner Arbeit im Kinderdorf Spaß, wo bestehen Herausforderungen für dich?
Wenn ich mit einer kleinen Kindergruppe sehr individuelle Zeit verbringen kann, mich ganz auf den einzelnen einlassen kann und jeden von ihnen neu und von einer ganz anderen Seite kennenlernen kann. Am Geburtstag zum Beispiel, darf das Geburtstagskind mit seinen Freunden Michael Kreitmeir und mich an diesem besonderen Tag im Alltag begleiten: Wir essen gemeinsam, erledigen Alltägliches und spielen. Unseren Kindern diese sehr familienähnlichen Momente zu ermöglichen und ihre Freude darüber zu spüren, das macht mir am meisten Spaß und gibt mir sehr viel Kraft für den Alltag.

Als emanzipierte, von westlicher Kultur geprägte Frau, stehe ich mit dem uralten Frauenbild der hiesigen Kultur und allem was daraus resultiert vor meiner größten Herausforderung. Ich schaue an einer hohen Mauer hoch, die über Jahrhunderte und Generationen hinweg in den Köpfen der Menschen aufgebaut wurde, würde sie am liebsten mit einen Schlag einreißen und muss doch akzeptieren, dass es meine Aufgabe ist einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, dass sie Stein für Stein allmählich abgetragen wird.

Ich sehe, dass in einem Land, das in seiner rasend schnellen Entwicklung gerade mitten drin steckt zwischen den uralten Traditionen und Kultur und hereinpreschender Modernität, vor allem die Jugend verwirrt ist und nicht mehr weiß, wie sie sich verhalten soll.

Ich nehme wahr, dass das alte Frauenbild mit von der Familie arrangierten Ehen ausgedient hat, dennoch funktionieren die Beziehungen meist nicht, fast jeder ist unglücklich in seiner Ehe, vor allem Frauen und Kinder, aber auch Männer leiden, was nicht selten in einem Selbstmord endet. Gleichzeitig weiß ich, dass man hier für das „westliche Model“ noch lange nicht bereit ist.

Wenn man es nun wie wir sehr ernst nimmt, mit der Sorge um die uns anvertrauten Mädchen, dann tut man alles dafür die Jugendlichen bei ihrer Suche nach ihrem eigenen Weg zwischen Kultur und Modernität zu unterstützen, ein Weg, der nicht klar definiert ist und auch nicht immer Erfolg verspricht. Und irgendwann müssen wir die Mädchen loslassen, ziehen lassen in ihr eigenes Leben, in dem wir sie nicht mehr beschützen können.

Wir sind gezwungen zu akzeptieren, dass wir den jungen Frauen am Ende ihrer Zeit in Little Smile nur folgendes mit auf den Weg geben können: „Egal, was du falsch gemacht hast, egal wie ausweglos dir deine Situation später scheinen mag, egal wie sehr du von Verwandten und Nachbarschaft dafür verachtet wirst, bei uns steht dir die Tür immer offen.“

Wie hat dich die Arbeit bei Little Smile verändert?
Meine Arbeit ist mein Leben geworden und ist zugleich das pure Leben, das wir durch unsere energiegeladenen Kindern täglich spüren können. Wir führen ein sehr einfaches Leben und schon lange beschäftigt mich nicht mehr, was ich habe, sondern was ich jeden Tag versuche.

Ich drehe mich nicht mehr nur um meine eigenen Person und meine eigenen Befindlichkeiten, wie ich es mir als Volontärin vor vielen Jahren als Erfahrung gewünscht habe.

Die Sorge um die uns anvertrauten Kinder und die Geschichten der Menschen, die mir täglich begegnen, lassen das ständige Grübeln um eigene Bedürfnisse weit in den Hintergrund treten. Ich habe aufgehört in langen Zeitabschnitten zu planen und zu denken, gerade in Sri Lanka ist sowieso „nur sicher, dass nichts sicher ist“, wie Michael Kreitmeir zu sagen pflegt. Daraus resultierend nennt sich Michael Kreitmeir selbst einen „Momentesammler“, der die geschenkten Momente voll und ganz auskostet, jeden einzelnen ernst nimmt, das Beste daraus macht und sie, wenn die Zeit gekommen ist, ziehen lässt. Darin ist er mir ein großes Vorbild, da mir selbst das Loslassen, gerade von erwachsen gewordenen Kindern sehr schwer fällt.

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