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"Wir sind Sünder, das ist wahr"

Tohuwabohu
Es geht um Leben und Tod. Der evangelische Pfarrer George Spanos aus Pfaffenhofen über die Vereinbarkeit von Glauben und Wissenschaft.
VON STEFANIE HERKER
Herr Pfarrer Spanos, wenn Sie an den Anfang von allem denken. Was kommt Ihnen da als erstes in den Sinn?
Erst einmal dieses hebräische Wort in der Bibel, Tohuwabohu. Es war wüst und leer. Es bezeichnet ein heilloses Durcheinander und wird modernisiert mit „Chaos“ übersetzt. Irgendwann danach entstand Leben.
Wie lässt sich die biblische Schöpfungsgeschichte und die wissenschaftliche Evolutionstheorie vereinbaren?
Für mich sind das absolut keine Widersprüche. Also die Bibel leistet sich ja am Anfang schon den Luxus, zwei Schöpfungsberichte nebeneinander zu stellen, in zwei Kapiteln in der Bibel, die sich diametral widersprechen. Einmal gibt es diesen Schöpfungsbericht in sieben Tagen und dann kommt die Adam und Eva Geschichte. Es ging nicht wirklich darum, was mal am Anfang war, viel eher sollten wir fragen: Wer sind wir und wie stehen wir in Beziehungen zueinander und zu Gott? Im Religionsunterricht in allen Altersgruppen bleiben Menschen daran hängen, dies wörtlich zu nehmen, wo ich sage, es gibt so viele Dinge, die nimmst du nicht wortwörtlich. Hör einfach diese Geschichte und hör, was da dahintersteckt und was die Menschen bewegt hat. Und was bedeutet das für uns heute?
Adam und Eva ist ein Mythos, bei dem es um Konflikte geht. Es geht um Verführungen, um Mann und Frau, und warum wir in einer gebrochenen Welt leben, warum eben das Paradies verloren gegangen ist, das wir uns alle erträumen. Und es geht um die Botschaft, dass wir Menschen zerstörerisch sind. Mythen sind wichtig für uns als Menschheit. Aber nicht im Sinne von das war mal so. Wenn ich darauf bestünde, müsste ich mich ja praktisch ständig gegen meinen Verstand und gegen mein Wissen stemmen. Das wäre schrecklich. Das macht uns Menschen ja aus, dass wir Verstand haben und dass wir bei allem Bösen, was wir tun, auch zum Guten fähig sind. Ob wir es denn mal hinkriegen, ist nochmal etwas anderes. Wissenschaftlich ist heute der Stand, dass es einen Urknall gab und es folgte die Evolution. Aber das sind Thesen, die im Augenblick gelten. Schauen wir mal, was die Naturwissenschaften uns in 30 Jahren erzählen. In den nächsten Jahren wird man immer wieder Neues entdecken und Dinge neu hinterfragen.

George Spanos wurde 1965 als Sohn einer deutschen Mutter und eines amerikanischen Vaters in Michigan, U.S.A. geboren. Sein Großvater war griechischer Einwanderer, der sich den „american dream“ vom sozialen Aufstieg mit einem griechischen Restaurant verwirklichen konnte. Noch in seinem ersten Lebensjahr zog die Familie Spanos nach Westberlin. In Wolfratshausen ist George Spanos zusammen mit seiner jüngeren Schwester, die mit Trisomie21 geboren wurde, aufgewachsen. Seine Konfirmationszeit beschreibt er als prägend für seinen späteren Werdegang als Theologiestudent und Pfarrer. In der Region 10 ist er gut verwurzelt. Nach Stationen in München, Ingolstadt und Neuburg an der Donau betreut er nun die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Pfaffenhofen.
In aller Unergründlichkeit. Worin könnten wir begründet sein?
Ein Theologe hat mal den Schöpfer Gott als den Urgrund des Seins beschrieben. Jetzt werde ich etwas philosophisch-theologisch. Also, dass es bei allem, was es gibt, in allen Zufällen doch noch etwas Göttliches gibt. Das ist für mich eine ganz wichtige Botschaft. Glauben und denken gehören für mich ganz eng zusammen. Also ich gebe meinen Verstand nicht ab, weil ich glaube. Im Gegenteil.
Was hat Sie eigentlich in jungen Jahren dazu bewegt, Theologie zu studieren und Pfarrer zu werden? Vielleicht, weil man als Pfarrer nur sonntags arbeiten muss? (grinst)
Theologie zu studieren war damals, Ende der Achtziger, ziemlich beliebt. Eine Zeitlang wussten sie gar nicht, wohin mit uns, so viele waren wir.
Als Pfarrer halte ich nicht nur Gottesdienste, ich halte Taufen, Konfirmationen, Trauungen und Trauerfeiern ab und muss mich dementsprechend auch immer vorbereiten. Es kommt schon vor, dass ich morgens eine Taufe habe, mittags eine Hochzeit und am Nachmittag eine Beerdigung. Das kostet natürlich viel Energie, denn man will für jeden Einzelnen präsent sein und die richtigen Worte finden. Zudem habe ich Verwaltungsaufgaben, bin Ansprechpartner für alle Menschen aus meiner Gemeinde, bin Seelsorger, begleite Menschen in Lebenskrisen und stehe Sterbenden zur Seite. Ich bin auf Dauerbereitschaft, trotzdem würde ich sagen, bin ich relativ frei.
Was hilft Sterbenden Ihrer Meinung nach in den letzten Tagen oder Stunden am meisten? Wie begegnen Sie ihnen und wie nehmen Sie ihnen die Angst?
Da sein. Vermitteln, dass die Person nicht allein ist. Die Hand halten. Berührungen helfen. Singen und Beten. Ich denke, da ist schon was dran, wenn man sagt, so wie jemand gelebt hat, so geht er auch. Es gibt ganz viele Menschen, die einfach sehr dankbar sind und auch loslassen können. Ich erinnere mich an die letzten Worte meiner Mutter, das war im Oktober 2023: „So, und jetzt ist es gut, lasst mich in Ruhe, ich habe euch alle lieb.“ Und es gibt natürlich auch Menschen, das habe ich gerade in der Altenpflege erlebt, die auch ganz schwer mit sich hadern, ihren Frieden zu finden. Da ist es nochmal wichtig, Beziehungen in dieser Welt in Ordnung zu kriegen. Da kann ich mich an eine alte Frau erinnern, die ich als Pfleger begleitet habe. Sie konnte nicht sterben. Wie sich herausstellte, hatte sie sieben Kinder, die untereinander fürchterlich zerstritten waren. Wir haben es dann geschafft, alle am ersten Weihnachtsfeiertag zusammen zu kriegen. Wir haben Kerzen angezündet und zwei Stunden später hat sie einfach still ausgeatmet. Das war gut. Beistand kann jeder leisten, dafür muss man kein Pfarrer sein. Das ist eine der christlichen Taten der Nächstenliebe.
Natürlich habe ich auch erlebt, dass es Gottesvergiftungen gibt
Was glauben Sie erwartet uns nach dem Tod? Womit gibt uns der christliche Glaube Zuversicht?
„Jenseits der Zeit gibt es kein Leid an dem Ort, den wir Himmel nennen.“ Dieser Satz erklärt es ganz gut. Und mit Himmel meine ich nicht bildlich den Himmel über uns, sondern einen Ort der Ewigkeit, an dem wir von diesem Zeit-Kontinuum enthoben sind. Das ist ja gerade Gott. Von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. Das sagen wir oft genug. Im Englischen gibt es ja zwei Begriffe für Himmel: Heaven und Sky. Das verdeutlicht den Unterschied nochmal gut.
Das Schöne am christlichen Glauben ist ja, dass es noch ein „Mehr“ gibt, in dem wir gründen können und in das wir auch wieder zurückgehen können. Natürlich kann ich mich auch damit zufrieden geben und sagen, okay, „from the cradle to the grave“. Also von der Wiege bis zur Bahre. Ich lebe, sterbe, werde beerdigt und das war’s – wem’s reicht?! Aber gerade der Gedanke mit der Auferstehung ist ja das, was den christlichen Glauben ausmacht, dass wir immer noch ein Mehr haben dürfen. Gott selbst ist für uns gestorben. Das ist schon eine sehr starke Botschaft, die den Tod relativiert.
Haben Sie auch schon einmal ein kleines Wunder am Sterbebett erlebt?
Ich wurde einmal zu einer alten Dame ins Klinikum in Ingolstadt gerufen. Ich habe ihr den letzten Segen gegeben und saß zwei Stunden bei ihr am Bett und wollte für sie beim Sterben da sein. Einen Tag später rief mich die Enkelin wieder an und sagte: „Die Oma will doch noch nicht gehen.“ Und dann saß sie wieder ganz fidel mit ihren 92 Jahren da. Ich hab sie dann, glaube ich, einige Monate später beerdigt.
Waren die Menschen früher ängstlicher in Bezug auf Gott, etwa weil sie gläubiger waren und Mythen sinnbildlich nahmen?
Natürlich habe ich auch erlebt, dass es Gottesvergiftungen gibt, diese Angst vor dem Jüngsten Gericht oder der Hölle. Das ist jetzt in der Generation kaum noch. Vor 20, 30 Jahren hatten die Leute wirklich Angst vor dem Sterben. Das hing teilweise auch mit deren Erlebnissen im Krieg zusammen.
Letztendlich gibt es mir Halt, dass ich immer wieder Menschen begegne, die sich dem Hass und den einfachen Antworten entgegenstellen. Das sind Menschen, da lebe ich natürlich in meiner kirchlichen Blase, die auch vom christlichen Glauben geprägt sind.
Wie stecken Sie diese Begegnungen, die nicht immer leicht sind, selber weg?
Eine gewisse Resilienz braucht man in unserem Beruf. Aber das ist ja auch etwas, was andere Berufe genauso haben. Meine absolute Hochachtung gilt den Ärzten, Sanitätern und Notärzten.
In einer Zeit voller Krisen und Umbrüche. Was gibt Ihnen heute Halt?
Letztendlich gibt es mir Halt, dass ich immer wieder Menschen begegne, die sich dem Hass und den einfachen Antworten entgegenstellen. Das sind Menschen, da lebe ich natürlich in meiner kirchlichen Blase, die auch vom christlichen Glauben geprägt sind.
Die Herausforderungen der folgenden Generation sind vielfach. Was bereitet Ihnen in unserer Gesellschaft aktuell am meisten Sorgen?
Es geht uns wahrscheinlich besser als je einer Generation zuvor. Zumindest hierzulande. Und auf der anderen Seite gibt es immer mehr Menschen, die mit Depressionen zu kämpfen haben. Gleichzeitig erleben wir einen nie dagewesenen Hass auf Fremde und Zuwanderer. Auch hier in Pfaffenhofen haben wir schon aufgesprühte Hakenkreuze entfernen lassen. Natürlich macht mir die politische Entwicklung Sorgen. Die Diktatoren, das Wettrüsten. Es ist verrückt.
Wie tolerant ist der christliche Glaube gegenüber anderen Religionen?
Ich persönlich fühle mich in einem christlichen Glauben verwurzelt. Ich kann aber ganz viel anderes tolerieren und einiges akzeptieren. Doch wenn es um Hass geht, dann ist Ende der Fahnenstange an dem Masten. Wir haben hier in Pfaffenhofen auch eine große Gruppe an Muslimen, die ich selbstverständlich akzeptiere, genauso wie Menschen ohne Religionszugehörigkeit. In der Verfassung unserer Kirche ist festgeschrieben, dass wir im Judentum die Wurzeln unseres Glaubens sehen. Es ist so. Jesus war Jude. Und damit treten wir natürlich jedem Antisemitismus entgegen. Deshalb ist Glauben auch immer politisch.
Empfinden Sie es als anmaßend, wenn etwa der Bayerische Ministerpräsident Markus Söder die Kirche ermahnt, sich in Sachen Migrationspolitik herauszuhalten?
Ja, sein Populismus stört mich. Einmal umarmt er Bäume und setzt sich für Bienen ein und im letzten Wahlkampf waren die Grünen sein Hauptfeind. Die Antworten sind von vielen gegeben worden und gerade der jetzt verstorbene Papst Franziskus sagt es auch: Glaube ist immer politisch. Ein Miteinander ohne Hetze und Ausländerfeindlichkeit sollte unser aller Ziel sein. Jeder Mensch ist gewollt. Das ist eine zentrale Botschaft, die impliziert, dass jeder Mensch gleich viel wert ist. Egal, welche Hautfarbe und egal, woher er kommt.
Waren wir immer schon Sünder und lassen wir als Sünder irgendwann die Welt im Chaos zurück? Haben Sie noch Glauben an die Menschheit?
Ich hatte den Glauben an die Menschheit nie. Wir sind Sünder, das ist wahr.
Welche persönlichen Laster haben Sie?
Ich rauche gerne eine und dass ich gerne was esse, sieht man mir auch an. Und manchmal, wenn ich an die Todsünden denke, dann ist die Trägheit das gefährlichste meiner Laster.

Worin sehen Sie den Sinn des Lebens?
Das klingt jetzt pathetisch: Der Sinn des Lebens ist es, mich zu bemühen, die Liebe zu leben. Das ist es, immer wieder Liebe zu erfahren und weiterzugeben. Das ist der christliche Auftrag und Sinn.
Sie haben selbst vier Kinder. Was würden Sie sagen, können wir Erwachsenen vor allem von Kindern lernen?
Dieses kindliche Staunen und die Begeisterung für alle Dinge, sind wunderbar. Sie träumen, haben eine große Phantasie und glauben an Dinge. Sie freuen sich über einen Schmetterling, über Blumen, nehmen vieles wahr, was wir für selbstverständlich halten, dabei ist alles ein großes Wunder.
Haben Sie zu guter Letzt noch einen schönen Psalm parat?
Einen Psalm, den ich sehr liebe, ist der 139er: „Wunderbar sind wir gemacht.“ Dass in unserem Körper Tag für Tag x Prozesse ablaufen, von denen wir gar nichts wissen oder mitbekommen, ist doch ein unheimliches Wunder. Unsere Selbstheilungskräfte sind beeindruckend. Wir nehmen es ja erst wahr, wenn etwas im Körper nicht mehr so funktioniert, wie es soll. Das Schätzen zu können, ist für mich eine innerlich ganz wichtige Haltung. Dazu zähle ich auch das Wunder der Natur. Wenn ich in den Bergen stehe und mir vorstelle, wie das alles entstanden ist, bin ich einfach überwältigt.
Vielen Dank für die inspirierenden Worte, Herr Pfarrer Spanos!

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