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"Ich war ein Treppenwitz und mein Büro ein Taschentuch"

Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller liest im Rahmen der Literaturtage am 04. Mai in Ingolstadt. Ein Blick in ihre Vita lässt einen staunend zurück. Ende der 70er Jahre setzt der rumänische Geheimdienst sie unter Druck: Herta Müller soll Spitzel werden. Sie weigert sich – mit Mitte 20.
Was macht man, wenn eine Literaturnobelpreisträgerin nach Ingolstadt kommt? Man klickt mal eben kurz auf ihren Wikipedia-Eintrag. Jetzt mag die Plattform hin und wieder einen schlechten Ruf haben, als erste Anlaufstelle taugt sie allemal. Herta Müller ist in der Literatur- und Feuilletonwelt natürlich keine Unbekannte, knapp 15 Jahre nach ihrer Auszeichnung mit dem Literaturnobelpreis und wenige Wochen vor ihrer Lesung in Ingolstadt lohnt es sich aber, wieder einmal einen Blick in ihr Leben zu werfen.
Der Geheimdienst klopft an der Tür
Herta Müller (*1953) wächst als Banater Schwäbin, also als Teil einer deutschen Minderheit in Rumänien auf. Eine Lehre zur Schneiderin (organisiert von ihrer Mutter), lehnt sie ab, geht lieber weiter zur Schule, macht Abitur und studiert Germanistik und Rumänistik. 1976 beginnt sie, als Übersetzerin in einer Maschinenfabrik zu arbeiten. In ihrer Nobelvorlesung – gehalten im Dezember 2009 in Stockholm – widmet sie sich ausführlich diesem Lebensabschnitt. Nicht ohne Grund. „Innerhalb einer Woche kam dreimal frühmorgens ein riesengroßer dickknochiger Mann mit funkelnd blauen Augen, ein Koloß vom Geheimdienst in mein Büro“, referiert Müller darin. Zu dieser Zeit arbeitet sie im dritten Jahr in der Fabrik, ist also Mitte 20.
Erst beim dritten Besuch kommt der Mann zur Sache: Herta Müller soll Spitzel werden. „Ich sagte: N-am caracterul, ich hab nicht diesen Charakter. (…) Das Wort CHARAKTER machte den Geheimdienstmann hysterisch. Er zerriß das Blatt und warf die Schnipsel auf den Boden.“ Der Geheimdienstler verließ den Raum nicht ohne Drohnung: „Dir wird es noch leidtun, wir ersäufen dich im Fluß. Ich sagte wie zu mir selbst: Wenn ich das unterschreibe, kann ich nicht mehr mit mir leben, dann muß ich es selber tun. Besser Sie machen es.“
Ein einschneidendes Erlebnis. Es verwundert nicht: Herta Müller thematisiert später in ihren Werken die Folgen der kommunistischen Diktatur in Rumänien. Ihre Erlebnisse in der Fabrik spielen sich alle unter der Herrschaft des Diktators Nicolae Ceaușescu ab.
Von der Treppe zum Literaturnobelpreis
Der Grundstein für ihren Weg in die Literatur wird auf einer Treppe in eben jener Fabrik gelegt. „[D]as Schreiben hat im Schweigen begonnen, dort auf der Fabriktreppe, wo ich mit mir selbst mehr ausmachen mußte, als man sagen konnte“, sagte sie in ihrer Nobelvorlesung. Was das war? Nun, ihr Leben wird nach dem Besuch des Geheimdienstmitarbeiters vorübergehend zur Hölle. Man will sie aus der Fabrik drängen. Besonders perfide: Unter den Arbeitern wird das Gerücht gestreut, sie sei ein Spitzel. Sie wird isoliert.
Verleumdung stopft einen aus mit Dreck, man erstickt, weil man sich nicht wehren kann. In der Meinung der Kollegen war ich genau das, was ich verweigert hatte. Wenn ich sie bespitzelt hätte, hätten sie mir ahnungslos vertraut. Im Grunde bestraften sie mich, weil ich sie schonte – Herta Müller
Herta Müller verliert ihr Büro. Was ihr bleibt: ein Taschentuch (schon früher ein Trostspender): „Ich legte es zwischen der ersten und zweiten Etage auf eine Treppenstufe, strich es glatt, daß es ordentlich liegt, und setzte mich drauf. Meine dicken Wörterbücher legte ich aufs Knie und übersetzte die Beschreibungen von hydraulischen Maschinen. Ich war ein Treppenwitz und mein Büro ein Taschentuch.“
Ich reagierte auf die Todesangst mit Lebenshunger. Der war ein Worthunger. Nur der Wortwirbel konnte meinen Zustand fassen. Er buchstabierte, was sich mit dem Mund nicht sagen ließ – Herta Müller
1979 wurde sie schließlich entlassen. Ihre Debütwerk als Schriftstellerin erscheint 1982 in Rumänien in einer zensierten Fassung. Später erhält sie ein Publikationsverbot, weil sie die rumänische Diktatur öffentlich kritisiert. 1987 reist sie nach Deutschland aus, zwei Jahre später erhält sie in Ingolstadt den Marieluise-Fleißer-Preis. Selbst in Deutschland wird sie nach eigenen Angaben noch vom rumänischen Geheimdienst mit dem Tode bedroht.
Putin, der „KGB-sozialisierte Diktator mit Personenkultallüren“
Mit Mitte 20 trotzt Herta Müller erstmals der Diktatur. Wenig verwunderlich, dass sie auch Wladimir Putin nichts abgewinnen kann. Im Jahr 2014 (zwei Jahre zuvor hatte Altkanzler Gerhard Schröder noch einmal seine Aussage von 2004 bekräftigt, wonach Putin ein „lupenreiner Demokrat“ sei) nennt sie ihn einen „KGB-sozialisierten Diktator mit Personenkultallüren“. Ein Jahr später sagt sie gegenüber der „Welt“: „Er beleidigt meinen Verstand. Er beleidigt jeden Tag unser aller Verstand, und zwar mit der immer gleichen Dreistigkeit. Er wurde schon 100 Mal beim Lügen erwischt, er wird nach jeder Lüge entlarvt, und er lügt trotzdem weiter. Er tritt mir damit zu nahe.“
Im Mai 2022 – drei Monate nach Beginn des Ukrainekriegs – trat sie dem von Alice Schwarzer und Peter Weibel initiierten offenen Brief an Bundeskanzler Scholz, in dem ein Stopp von Waffenlieferungen an die Ukraine gefordert wurde, mit einem eigens initiierten offenen Brief unter dem Titel „Die Sache der Ukraine ist auch unsere Sache!“ entgegen.
Hier können Sie die gesamte Nobelvorlesung von Herta Müller nachlesen – es lohnt sich!
Herta Müller liest in Ingolstadt
Samstag, 4. Mai 2024, 20 Uhr, Kulturzentrum neun
Herta Müller „Der Beamte sagte“
Moderation: Ernest Wichner
Tickets gibt es in der Tourist Information am Rathausplatz (Moritzstraße 19), im Westpark Ingolstadt, im IN-direkt Shop (Moritzstraße 6), im IN-direkt Verlag (Am Lohgraben 27) sowie über Ticket Regional (www.ticket-regional.de).

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Jetzt für den Leseherbst eindecken
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