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Angriff und Verteidigung

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Angriff und Verteidigung

Pfarrer Martin Geistbeck meldete sich während des Hearings mehrmals zu Wort, übernahm teilweise sogar die Moderation, was zu Erheiterung bei den Zuhörern führte.

Wäre das neuerliche OB-Hearing am Mittwochabend ein Fußballspiel gewesen, die Rollen wären klar verteilt: Im Angriff die Flügelzange aus Christian Lange und Christian Pauling, im Tor der amtierende Oberbürgermeister Christian Lösel. Der hatte an diesem Tag einiges abzuwehren.

Die Fußballanalogie lässt sich noch weiter spinnen. Christian Scharpf (SPD): fehlte verletzt (er war krank). Für ihn kam Karoline Schwärzli-Bühler ins Spiel. Petra Kleine (Grüne) fiel an diesem Abend unfreiwillig die Rolle der Schiedsrichterin zu. Mehr als einmal schaffte sie es, nach hitzigen Schlagabtauschen mit bedachten Worten zu vermitteln. Manchmal blitzte aber auch bei ihr die Rolle der OB-Herausforderin durch. Auch auf dem Feld: Raimund Köstler (ÖDP), Jakob Schäuble (FDP) und Jürgen Köhler (UDI). Letzterer fand auf dem Platz fast nicht statt, wie es im Fußballlatein so schön heißt. Er hatte die wenigsten Wortmeldungen an diesem Abend. Als „Stadionsprecher“ (sprich: Moderator) war Johannes Langer engagiert. Der übertrieb es in seiner Moderation in den Augen mancher mit der „eigenen Meinung“ etwas. Das bekam er auch direkt bei einer Wortmeldung aus dem Publikum aufs Butterbrot geschmiert. Das sei halt sein Stil, entgegnete er. In der ersten Hälfte der Veranstaltung war das – zumindest aus einem emotionalen Standpunkt heraus – der größte Aufreger. Denn in der Vorstellungsrunde schob man sich den Ball erstmal gemütlich gegenseitig zu. Im Scheinwerferlicht durfte jeder Kandidat kurz darüber philosophieren, warum gerade er der richtige Oberbürgermeister wäre, welche Themen ihm für Ingolstadt am wichtigsten seien und wie man die künftige Entwicklung des Pius-Viertels sehe. Dort fand das OB-Hearing mit Schwerpunkt „Soziale Stadtentwicklung“ immerhin statt.

Fanlager

Sogar das Publikum ähnelte in Teilen dem eines Stadionbesuchs. Bürgermeister Albert Wittmann (CSU) grantelte gewohnt charmant aus der ersten Reihe. So lange, bis es Petra Kleine irgendwann reichte. Der Abend war schon spät – das Hearing dauerte 4 Stunden – und auch die Geduld der „Schiedsrichterin“ war irgendwann zu Ende. Sie wünschte sich, dass Wittmann künftig nicht mehr mitspielen dürfe. Kleine: „Eigentlich möchte ich auch nicht, dass Sie noch Bürgermeister sind.“ Das war deutlich, danach war aus der ersten Reihe nicht mehr viel zu hören. Oder, um es mit den Worten der „Sport Bild“ zu schreiben: RUMMS. Dass das Hearing keinen einzigen Jugendlichen anzog – und auch sonst hauptsächlich Stadträte, Stadtratskandidaten und Parteimitglieder vertreten waren – spricht für sich. Die einzelnen Fanlager waren in den Sitzreihen deutlich auszumachen.

Hitziger Wahlkampf

Doch genug der Fußballanalogien. Moderator Johannes Langer stellte gleich zu Beginn fest, so viel Aggressivität und Unterstellungen vor Wahlen hätte er in Ingolstadt selten erlebt. Er wünschte sich eine lebendige Diskussion, ohne Beleidigungen und weiterer Unterstellungen. Langer spielte damit auf die Verfehlungen des Ex-OBs Alfred Lehmann an – oder vielmehr auf die Diskussionen darüber in den Sozialen Netzwerken, in denen nicht selten auch der amtierende OB Christian Lösel scharf angegangen wird. Langers Wunsch ging auch lange Zeit in Erfüllung, bis am Ende des Abends dann doch das Thema Korruption besprochen wurde. Nach der Vorstellungsrunde wurden die Kandidaten nämlich mit Fragen von Ingolstädter Jugendlichen konfrontiert. Dabei wurde deutlich, dass auch hier das Thema Korruption in aller Munde ist – und zu Politikverdrossenheit führt.

„Klima der Angst“

Dass es da für manche auch außerhalb der Sozialen Medien noch Redebedarf gab, bewies u.a. Christian Pauling (Linke). Lösel sei entweder unwissend gewesen oder er hänge mit drin. Die Gäste mit CSU-Parteibuch nahmen diese Aussage nicht besonders erfreut auf. Wenig besser wurde es, als Pauling noch hinterherschob, in der Verwaltung herrsche ein Klima der Angst. „Das gibt es nicht“, stellte Lösel strickt fest. Die Klinikumsaffäre sei zudem weit vor seiner Zeit ins Rollen gebracht worden. „Mehr als Distanzieren“ könne er sich nicht, sagte Lösel. Pauling forderte hingegen eine Entschuldigung für die Verfehlungen des Ex-OBs. Die nächste Wortmeldung kam von Christian Lange (BGI): „Mein Mitleid mit Ihnen hält sich in Grenzen“, stichelte er in Richtung Lösel. Der OB hatte nach dem Angriff um das „Klima der Angst“ zu einem kleinen Monolog angesetzt, in dem er sich demonstrativ vor die Mitarbeiter der Verwaltung stellte, um stellvertretend für sie die vermeintlichen Angriffe gegen sie abzuwehren. Nur: die Angriffe galten Lösel persönlich, nicht den Verwaltungsmitarbeitern. Das entging natürlich auch Lange nicht, er hielt das Verteidigen der Mitarbeiter für eine Taktik, „um von sich selbst abzulenken“. Es war sicherlich der hitzigste Teil des Abends. Lösel ließ im Anschluss nicht unerwähnt, er habe nie im Verdacht der Strafermittlungsbehörden gestanden. 

Nach kurzem Durchatmen ergriff Petra Kleine das Wort und zeigte, dass sie „OB kann“. Statt die Situation weiter aufzuheizen, schaltete sie einen Gang zurück und wies auf den umfangreichen Fragenkatalog in der Klinikumsaffäre an OB Lösel hin. Er könne froh sein, dass dieser so umfangreich ausgefallen sei, das habe ihm geholfen. „Alles wurde aufgeklärt“, warf Lösel daraufhin prompt ein. Dennoch sei eine schnellere Einführung eines Ombudsmanns für Whistle-Blower „politisch besser gewesen“, ergänzte Kleine. Einen solchen gibt es seit Januar 2020. Die Einführung ist eine von weiteren Maßnahmen, die nach der Klinikumsaffäre ergriffen wurden. Christian Lange forderte dennoch mehr Transparenz. Ob mehr Transparenz oder ein Ehrenregister wirklich Straftaten vereiteln, wurde in der Runde mehrmals angezweifelt. Die Meinungen gingen stark auseinander.

Das Pius-Viertel im Blick

Das Hearing drehte sich aber nicht nur um diesen einen Punkt, auch wenn er aufgrund der Brisanz der Sache etwas ausführlicher dargestellt wurde. Im Mittelpunkt sollten immerhin die Belange der Jugendlichen aus dem Pius-Viertel stehen. Diese reichten u.a. die Frage ein, was denn nun mit dem alten Pius-Treff passiere, nachdem ein Neubau an anderer Stelle geplant sei. Die Jugendlichen wünschten sich den Erhalt der Räumlichkeiten für Partys oder Bandproben. Was damit passiere, stehe noch nicht fest, erklärte Lösel. Vielleicht könne man aber auch was schöneres Neues bauen. Das rief wiederum Karoline Schwärzli-Bühler auf den Plan, die anmerkte, es müsse nicht immer etwas Neues sein. Sie erinnerte an die „Bauwagenkultur“, man solle die Jugendlichen ruhig auch mal selbst Hand anlegen lassen. In dieser und weiteren Aussagen merkte man ihr an, eine würdige Vertreterin der Jugend zu sein. Schließlich wurde an diesem Abend viel über – aber eben nicht mit Jugendlichen gesprochen. Auch der Anteil an frisch gekochtem Essen an Schulen war ein Thema. Das Essen kommt zum Teil wegen einer EU-weiten Ausschreibung tiefgefroren aus Wien. Frisch vor Ort zu kochen ist aber nicht so einfach, wie im Laufe der Diskussion klar wurde. Jakob Schäuble (FDP) merkte an, dass Essen schmecke zwar gut, aber eben auch „langweilig“. Deutlich wurde auch, dass Treffpunkte für Jugendliche außerhalb der Schule geschaffen werden müssen. Bei der Diskussion um die Einführung eines Jugendparlaments kam dann noch einmal ein wenig Stimmung auf, als Hans Stachel (FW) den Vergleich mit einer „Spielwiese mit Spielgeld“ zog. Dann müsse man dem Jugendparlament eben gewissen Rechte einräumen, damit dieses mehr als Spielerei werde, entgegnete man ihm. Von verschmutzten Spielplätzen über einen neuen Kontaktbeamten für das Piusviertel, der dort gerade seine Runden dreht, bis hin zu „Kiss & Ride“-Zonen, für die Bäume gefällt werden mussten, wurde noch so einiges in dieser 4-stündigen Marathonsitzung besprochen.

(K)eine Koalition?

Die Abschlussfrage des Moderators lautete: mit welcher Partei würde man nach der Wahl eine Koalition eingehen (auch wenn es diese streng genommen in einem Stadtrat nicht gibt)? Die Antworten ähnelten sich stark. Jakob Schäuble „braucht keine Koalitionen“. Mehrheiten könne man sich auch thematisch suchen. Auch Hans Stachel wünscht sich eine „überparteiliche Zusammenarbeit“. Raimund Köstler fand sogar, Koalitionen seien „hinderlich“. Einer Koalition erteilte er eine klare Absage. Karoline Schwärzli-Bühler antwortete im Sinne von Christian Scharpf, in Koalitionsverhandlungen wolle dieser nicht einsteigen. Jürgen Köhler war lange ohne Parteibuch, daher sei auch er für eine „freie Zusammenarbeit“. Petra Kleine musste sich noch was vom Herzen reden. Manche Entscheidungen der letzten Zeit hätten sie getroffen, auch wenn „alles korrekt, alles legal“ abgelaufen wäre, das „machtpolitische Durchdrücken“ kritisierte sie. Es sei wichtig, dass bei der CSU Einsicht darüber herrsche, dass etwas schief gelaufen sei. Sie zeigte sich dennoch bereit für einen Schlussstrich. Christian Lösel erteilte einer Koalition mit der AfD eine klare Absage, was im Raum wohlwollend aufgenommen wurde. Aber auch mit der Linken werde man nicht zusammenarbeiten, „weil das auch eine radikale Partei“ sei. Lösel hält wechselnde Mehrheiten für möglich. Christian Pauling forderte bessere Bürgerbeteiligung und konterte Lösels „Radikalenvorwurf“ mit der Aufzählung einiger Sachthemen seiner Partei, u.a. das Bürgerbegehren um das 365-Euro-Ticket im ÖPNV. Christian Lange ließ sich eine letzte Spitze nicht nehmen und berichtete von einer Anekdote aus einer Stadtratssitzung, in der ein Stadtrat das Ende der Diskussionen forderte – mit der Begründung, die Mehrheiten stünden doch sowieso schon fest. Das wolle er für die Zukunft nicht.

Bei einer Wortmeldung aus dem Publikum durch Pfarrer Martin Geistbeck wurde deutlich, sechs weitere Jahre Streiterei könne man dem Bürger nicht zumuten. Daher ist es vielleicht auch gar nicht das schlechteste, wenn eine Mehrheit nicht durch zwei Parteien (oder gar eine) gebildet werden kann. So muss wieder mehr miteinander gesprochen werden. Ein Wunsch, der von fast allen Seiten geäußert wurde. Sachbezogene Zusammenarbeit über alle Parteien hinweg statt machtpolitischer Spielereien? Ob hier der Wunsch der Vater des Gedankens ist, bleibt abzuwarten. Fest steht nur, dass dabei alle Stadträte in der Pflicht sind.

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