Helga hilft

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Helga hilft

Fotos: Stefanie Herker

Das ehrenamtliche Engagement der pensionierten Schulrektorin Helga Inderwies ist echt stark. 

VON STEFANIE HERKER

Würde man der pensionierten Schulrektorin der Realschule Geisenfeld, Helga Inderwies, ein Zeugnis für ihr Lebenswerk ausstellen, so würden darin wohl nur Superlative vorkommen. Anstatt ihren wohlverdienten Ruhestand zu genießen, entschied sich Helga Inderwies im Seniorenalter für eine Arbeit im Dienste der Menschen. Sie pflegte ihre Mutter, gründete den Hospizverein in Pfaffenhofen, initiierte die Alzheimergesellschaft und war beide Male viele Jahre Vorsitzende. Sie war jahrelang im Krisen-Interventions-Dienst für das Bayerische Rote Kreuz im Einsatz und aktuell leitet sie mit ihren 88 Jahren immer noch die Arbeitsgruppe „Inklusion, Pflege und Behinderung“ im Bündnis für Familie im Landkreis Pfaffenhofen. Was motiviert einen Menschen, sich beinahe täglich über 30 Jahre lang mit dem Tod auseinanderzusetzen? Was hat Helga Inderwies geprägt und welche aufschlussreichen Begegnungen hat sie in ihrem Leben gemacht?

Ein leichtes Leben hatte die geborene Berlinerin nie. 1944, ein Jahr vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, flüchtete Helga mit ihrer Großmutter, der Mutter und ihren beiden Geschwistern nach Bayern an den Starnberger See zu ihrer Verwandtschaft in ein Bauernhaus. Zu fünft teilten sie sich ein Zimmer. „Das Leben war schwierig.“ Ihre Mutter hat als Schneiderin bei Bauern und als Serviererin bei der amerikanischen Besatzung Geld verdient. „Meine Oma ging mit meinem kleinen Geschwisterchen, das noch ein Baby war, betteln. Wir haben gehungert. Im Sommer war es etwas besser, da haben wir Beeren gesammelt, im Herbst Pilze.“ Der Vater, der im Krieg kämpfte, erfuhr nach seiner Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft 1947 in Berlin, dass seine Famile in Bayern lebte.

„Ich erinnere mich noch gut, als er vor uns stand. Keiner erkannte ihn. Ein Mann in einer braunen, wattierten Steppjacke. Er sagte: Ich hab euch etwas mitgebracht. Und er zog zwei verklebte Bonbons aus seiner Tasche. Das werde ich nie vergessen“, erinnert sich die 88-Jährige. „Mit 77 ist er gestorben. Meine Eltern waren meine Vorbilder – ehrlich, aufrichtig, fleißig, liebevoll. Meine Mutter habe ich aus Dankbarkeit selbst gepflegt. “ Helga Inderwies war immer schon eine Kämpfernatur. Auch als sie Schulrektorin werden wollte – es war ihr Traumberuf als Kind – war das keineswegs ein einfacher Weg. „Zu meiner Zeit gab es kaum Frauen in solchen Positionen.“ Gegen Männer wusste sie sich zu behaupten – still, aber souverän. Und nicht einmal vor dem Tod machte sie Halt. Seit rund 30 Jahren ist der Tod sozusagen ihr ständiger Begleiter.

Wenn ich eins im Ehrenamt gelernt habe: Alles dauert eine enorme Zeit. Durchhalten. Man darf bloß nicht aufgeben.

In der Palliativ-Versorgung sah Helga Inderwies im Landkreis Pfaffenhofen ein großes Defizit. „Durch die Betreuung meiner kranken Mutter stellte ich fest, dass kein Arzt auf Palliativ-Medizin ausgelegt war. Man bekam keine Beratung, kein Angebot, ich musste alles selbst erfragen. Mein Ansporn war es, dies zu ändern. Und wir haben es geschafft. Dr. Moll war der erste Arzt im Landkreis mit palliativer Ausbildung. Schön, dass wir das anstoßen konnten.“ 1994 entstand der Hospizverein. Mittlerweile spenden im Landkreis Pfaffenhofen rund 90 ehrenamtliche Hospizbegleiter:innen aus den verschiedensten Lebensbereichen Trost und verbringen Zeit mit Totkranken und deren Angehörigen, um sie emotional zu unterstützen – im Krankenhaus, Pflegeheim oder zu Hause.

ABOUT: Helga Inderwies war zunächst Lehrerin, Konrektorin, später Rektorin an der Staatlichen Realschule Geisenfeld, bevor sie im Jahr 2002 ihren Ruhestand antrat. Schon 1998 bis 2009 hatte sie den Vorsitz im Hospizverein Pfaffenhofen inne. Ab 2004 war Helga Inderwies zudem lange Zeit im Krisen-Interventions-Dienst aktiv tätig. 2007 erhielt sie die bronzene Stadtmedaille der Stadt Pfaffenhofen sowie im Jahr 2010 das Ehrenzeichen des bayerischen Ministerpräsidenten. 2021 wurde sie mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

„Ich erinnere mich noch allzu gut, als ich zu einem alten Mann ans Sterbebett gerufen wurde, wir hatten uns davor zwei, dreimal gesehen. Ich habe mich zu ihm gesetzt. Seine Frau ging in die Küche, kochte Kaffee. Er wollte mit mir alleine sprechen. Ich habe solche Angst – hat er gesagt. Kehlkopfkrebs. Mein Vater hatte auch Kehlkopfkrebs – und er ist ganz ruhig eingeschlafen, sagte ich ihm. Vielleicht ist das bei Ihnen ähnlich. Und ich glaube, ich konnte ihm beim Sterben helfen. Eine Woche später rief seine Tochter an, er wäre ganz ruhig eingeschlafen, ich solle nochmal vorbeikommen. Als ich vor Ort war, hatten sie den Toten mit an den Tisch geschoben, ihm Kaffee eingeschenkt und Kuchen hingestellt, ihn noch einmal mit in ihre Kaffeerunde einbezogen. Das war für mich ein unglaubliches Erlebnis, wie hier mit dem Tod umgegangen wurde. Und ganz ehrlich: Wenn ich sterbe, möchte ich nicht drei Tage lang in einer Kühlkammer liegen. Da würde ich meine Wohnung auch bevorzugen.“

Wenn ich sterbe, möchte ich nicht drei Tage lang in einer Kühlkammer liegen.

Was bleibt nach all den Jahren Sterbebegleitung vor allem in Erinnerung? – „Das Bedauern der Menschen, dass sie irgendetwas nicht mehr gemacht haben. Ich habe Sätze wie: Wir hatten doch noch so viel vor
immer wieder gehört. Oder aber auch wie überraschend der Tod doch gewesen wäre, obwohl er das oft gar nicht war. Da waren Menschen, die waren totkrank und die Angehörigen haben den Ernst der Lage Wochen oder Monate davor nicht erkannt oder wahrhaben wollen. Wir Menschen sind oft nicht fähig, uns mit dem Tod zu beschäftigen.“

Was ich ganz oft höre ist: Wir hatten ja noch so viel vor. Mein Rat ist, man soll nichts aufschieben.

Wenn Sie aber an ihre Zeit im Krisen-Interventions-Dienst denkt, „wo Menschen teilweise wirklich ruckartig aus dem Leben gerissen wurden, wie beim Einsturz der Halle in Bad Reichenhall,“ dann, gibt sie zu, versteht sie vieles auch nicht. An einen Gott glaubt sie trotzdem. „Keiner hat uns versprochen, dass es uns immer gut gehen wird. Man darf nicht zu viel vom Leben erwarten“, sagt sie geerdet.

Nach vielen Jahren im Hospizverein Pfaffenhofen e.V. mit außergewöhnlicher Hingabe, erhielt Helga Inderwies die bronzene Stadtmedaille der Stadt Pfaffenhofen sowie im Jahr 2010 das Ehrenzeichen des bayerischen Ministerpräsidenten. Mit diesem Ansporn wandte sich Helga Inderwies – in einem Alter, in dem andere längst an Ruhestand denken – noch einmal einem völlig neuen und dringend wachsenden Thema zu. Sie sah, wie schwer es Angehörige von Menschen mit Demenz im Landkreis Pfaffenhofen hatten, wie hilflos viele von ihnen zwischen Pflege, Erschöpfung und emotionalem Abschied auf Raten standen. Und sie entschied: Auch hier braucht es Hilfe.

2013 gründete sie deshalb die Alzheimer-Gesellschaft Pfaffenhofen. Sie tat es auf ihre unverwechselbare Art – pragmatisch, mutig, mit einem tiefen Verständnis für menschliche Not. Um sich herum versammelte sie eine kleine Gruppe von Angehörigen, die selbst betroffen waren, und gemeinsam bauten sie etwas auf, das im Landkreis bis dahin gefehlt hatte: eine Anlaufstelle, die Orientierung, Trost und praktische Hilfe bietet. Mit ihrer Energie, ihrer Klarheit und ihrem unerschütterlichen Engagement schaffte Helga Inderwies es, den jungen Verein in wenigen Jahren auf feste, verlässliche Beine zu stellen.

Ihr Wirken blieb nicht unbemerkt. Beim 10. Alzheimer-Kongress wurde Helga Inderwies mit dem Ehrenamtspreis der Deutschen Alzheimer Gesellschaft ausgezeichnet – eine Würdigung, die ihr herausragendes Engagement für Menschen mit Demenz und deren Angehörige in den Mittelpunkt rückte.
2019, nach sechs Jahren als Vorsitzende, verabschiedete sie sich aus der Leitung des Vereins. 2021 wurde sie mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Helga Inderwies hat Pfaffenhofen und die Region mitgestaltet. Ihre Spuren kann niemand mehr verwischen. Sie bleiben erhalten in den Strukturen, die sie aufgebaut hat, in den Familien, denen sie Halt gab, und in einem Landkreis, der dank ihr gelernt hat, wie wichtig Mitgefühl im Angesicht des Vergessens ist.

„Ich hatte ein Bedürfnis, das alles zu machen, weil ich dankbar bin, dass es mir gut geht, dass ich gesund bin. Mein Mann hat die letzten Jahre immer toleriert, was ich gemacht habe, mich unterstützt, aber jetzt braucht er mich.“

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