„Ich frage mich, woher die Anspruchshaltung kommt, unbedingt im absoluten Überfluss schwimmen zu wollen“

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"Ich frage mich, woher die Anspruchshaltung kommt, unbedingt im absoluten Überfluss schwimmen zu wollen"

Seit vergangenem Jahr ist Prof. Dr. Imke von Maur die neue Inhaberin des Lehrstuhls für Philosophie an der KU Eichstätt-Ingolstadt | Foto: Sebastian Birkl

Philosophie-Professorin Imke von Maur spricht im espresso-Interview über Gefühle in der Klimakrise. Sind Gefühle bei der Bewältigung von Krisen hinderlich? Und warum sind Menschen eigentlich so gute Verdrängungskünstler? Nur zwei der Dinge, denen wir auf den Grund gehen.

Frau von Maur, wie viel Philosoph*in steckt in jedem von uns?
Wir sind alle Philosoph*innen! Wir alle haben ganz tiefsitzende Fragen über Wahrheit, Gerechtigkeit, „das gute Leben“, unsere Gefühle, Sinn und noch so vieles andere mehr. Wir beantworten uns diese Fragen auch, zwangsläufig, denn wir müssen ständig Entscheidungen auf der Basis dieser Überlegungen treffen. Wie reflektiert und gut begründet die Antworten ausfallen ist eine andere Frage. Leider sind wir oft zu abgelenkt, zu sehr im Stress, in den Zwängen und Routinen des Alltags, um uns wirklich einzulassen auf das philosophische Abenteuer, sich im Denken orientieren zu lernen. Die urphilosophischen und gleichzeitig grundbodenständigen Fragen nach dem „Wie, wofür und wohin“ unseres Lebens finden im Hamsterrad keinen Platz und so rennen wir auch an den vielen Anlässen zum Staunen und Hinterfragen oft einfach vorbei. Zudem wirkt manches In-Frage-Stellen beunruhigend und löst Ängste aus – bei uns und den anderen. Das muss man erstmal auszuhalten lernen. Dann aber wird man mit überraschenden, eröffnenden und oft ganz praktisch hilfreichen neuen Perspektiven belohnt, die das Leben sehr bereichern können.

Die massive Vernichtung von Mitwelt und Lebensraum bleibt genauso ungefühlt wie die Schönheit der Artenvielfalt oder der Wert echter Demokratie

Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschungsarbeit als Philosophin sowohl mit Emotionen als auch mit der Klimakrise. Sind Gefühle wie Angst, Wut oder Hoffnung bei der Bewältigung großer Krisen eher förderlich oder hinderlich?
Man könnte auch fragen, ob das Denken über die Klimakrise hilfreich oder hinderlich ist. Analog verhält es sich mit unseren Gefühlen. Um wirklich etwas verstehen und praktische Lösungen entwickeln zu können, brauchen wir selbstverständlich Denken und Fühlen. Nur gibt es „dummes“ und „kluges“ Denken – und gleiches gilt für Gefühle. Unsere Aufgabe als Philosoph*innen und als denkende und fühlende Menschen besteht darin, dies anhand von Kriterien unterscheiden zu lernen. Auf welche Weise wir denkend und fühlend Wirklichkeit erschließen, macht einen erheblichen Unterschied dafür, wie wir (mit anderen zusammen) leben. Was passiert, wenn wir gesellschaftlich und individuell Bedingungen schaffen, die es nahezu verunmöglichen vermittels unserer Gefühle den Horror der Zerstörung oder die Schönheit des Lebens zu begreifen, zeigt sich ja gerade im Kontext der Klimakrise in eklatanter Weise. Die massive Vernichtung von Mitwelt und Lebensraum bleibt genauso ungefühlt wie die Schönheit der Artenvielfalt oder der Wert echter Demokratie. Und das (Nicht)Verstehen und die (Nicht)Handlungen, die hieraus folgen, haben massive Auswirkungen! Wenn wir auf Basis des Denkens und Fühlens (oder dessen Ausbleiben) Entscheidungen treffen, ist es wichtig, die Auswirkungen wirklich zu „verstehen“, sich also unter anderem empathisch in die Welt der Betroffenen unserer Wirklichkeitserzeugung einzufühlen. Musk empfiehlt (wie Ayn Rand), das gerade nicht zu tun. Das ist hochgradig gefährlich! Doch ein empathisches Einfühlen hat nichts mit naiv esoterischer Gefühlsduselei zu tun. Es geht um Erkenntnis und um Begründungen! Gefühle schaffen Wirklichkeit – und ihr Ausbleiben auch.

Seit dem Wintersemester 2024/25 ist Prof. Dr. Imke von Maur die neue Inhaberin des Lehrstuhls für Philosophie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Vor ihrer Berufung an die KU war die gebürtige Bocholterin als Postdoc am Institut für Kognitionswissenschaften der Universität Osnabrück tätig. Im Bachelor studierte sie an der Universität Duisburg-Essen Angewandte Kognitions- und Medienwissenschaften, bestehend aus Psychologie, Informatik und Wirtschaftswissenschaften. Für den Master wechselte sie Standort und Hauptfächer: Im Master Cognitive Science an der Universität Osnabrück legte sie den Fokus auf Philosophie und Neurowissenschaften. In ihrer Dissertation befasste sie sich aus sozialkritischer Perspektive damit, welchen Beitrag Emotionen zu Erkenntnis leisten. Das Megathema Klimakrise, aber auch andere sozial relevante Themen wie Rassismus, Sexismus, Feminismus und Populismus gehören zu den Forschungsinteressen der 37-Jährigen.

„Deutschland allein wird den Klimawandel nicht aufhalten können“, „Das Klima hat sich immer schon gewandelt“, „Solange China nichts ändert, bringt mein Verhalten gar nichts“. Warum finden wir so viele Gründe, um das eigene Verhalten nicht ändern zu müssen?
Wir sind konservative Wesen. Wir mögen keine Veränderungen. Veränderungen sind unbequem, machen Angst und fallen uns generell enorm schwer. Wenn Klient*innen zu einer Psychotherapie gehen, dann haben sie bereits einen extremen Leidensdruck durch ihre bisherigen Verhaltensweisen. Erst, wenn es gar nicht mehr geht, kommen sie. Therapeut*innen versuchen ihnen dann zu helfen loszulassen und andere Denk- und Verhaltensformen zu finden. Doch obwohl viele Klient*innen einen unbändigen Willen zur Verbesserung ihrer Situation mitbringen, schaffen sie es einfach nicht, etwas zu verändern oder nur sehr, sehr langsam. Wir handeln meist nicht aufgrund von rationalen Begründungen (wie Habermas das zu Recht gerne hätte), sondern aus Gewohnheit. Mit Argumenten kann man (fast) niemanden überzeugen. Schon bevor man etwas sagt, wehrt sich der andere, als ob Gründe Angriffe wären. Als Therapeut*in ist es dann sehr schwer, mit anzusehen, welche extremen Energien in die Aufrechterhaltung destruktiver Verhaltensweisen fließen. Wir sehen solche „leidenschaftlichen Verhaftungen“ auch bei Diskussionsrunden, wenn die vermeintlichen Argumente immer absurder und absurder werden, sodass alles zu (Selbst)Satire wird. Wir sehen das auch, wenn auf den Straßen mit immenser Lautstärke, Wut und Aggressivität Menschen gegen das angehen, was wir das „Faktische“ nennen. Wer es dann schafft, eine andere Sichtweise zulassen zu können und den Zwang überwinden kann, das „Kontrafaktische“ um jeden Preis verteidigen zu müssen, als wäre es mit der eigenen Identität verwoben, spürt, wie viel Last dann abfällt und welcher innere Frieden entsteht. Einfach nur durch „Loslassen“.

Die nächste Weltklimakonferenz findet im November in Brasilien statt. Damit die Teilnehmer bequem zur Konferenz kommen können, wird eine 13 km lange Straße quer durch den – eigentlich geschützten – Regenwald gebaut. Ist das nicht ein fatales Signal, das die Politik an die Weltbevölkerung sendet? Beim einzelnen Menschen dürfte doch ankommen: Wenn ich einen (triftigen) Grund habe, kann ich auch auf Umwelt-/Klimaschutz verzichten. Aber ein Grund lässt sich ja eigentlich immer finden. Ist also auch das Signal „von oben“, sprich von den einzelnen Regierungspolitikern ausschlaggebend dafür, dass wir uns persönlich so schwer tun, uns aktiv mit der Änderung des eigenen Verhaltens am Klimaschutz zu beteiligen?
Ja, das klingt nach keiner guten Idee. Wir sehen bei jeder dieser Konferenzen, welche enormen Mengen an Kerosin etc. verbraucht werden. Allerdings möchte ich Ihnen widersprechen, wenn Sie sagen, es ließen sich immer Gründe für etwas finden. Gründe werden ja gerade im Diskurs abgewogen und führen dann zu einem (Gesamt-)Ergebnis. Es lässt sich also gerade nicht alles „irgendwie“ rechtfertigen. Das wäre totale Beliebigkeit und die Dreingabe von dem, was Philosophie und Wissenschaft zu leisten hat. Dabei geht es auch in der Konsequenz ums (durchaus ökonomische) Abwägen. Das bedeutet konkret, dass es eben gute (triftige) Gründe für die Konferenz mit all den Flügen und der Straße durch den Regenwald geben kann. Dafür müsste der positive Effekt der Konferenz den schädlichen Effekt aufwiegen. Und es dürfte keine alternativen Lösungen geben, die effizienter wären. Seit Corona fällt diese Abwägung ja zum Beispiel bei vielen Konferenzen häufiger zugunsten von Onlinetreffen aus. Zudem könnte man in Erwägung ziehen, einen festen Ort für diese Konferenzen zu finden, der möglichst wenig ressourcenintensiv ist und politisch weniger fragwürdig als das in den letzten Jahren der Fall war.

Doch wir sollten uns gleichzeitig bei solchen Entscheidungen mit vorschnellen Ein-Ordnungen etwas zurückhalten und im Zweifeln und Nachhaken üben, statt jeder medialen Skandalisierung oder Ablenkung vom Eigentlichen zu folgen. Denn die Beurteilung ist von außen manchmal deutlich schwieriger zu bewerkstelligen, als es auf den ersten Blick scheint. Es mag in diesem Fall also durchaus überzeugende, also triftige Gründe für diese Lösung geben.

Wir sind narrative Wesen, also Geschichtenerzähler*innen, und es fällt uns viel leichter, die Erzählungen über „die Wirklichkeit“ zu verändern, als uns selbst

„Derzeit ist es in Mittel-, und Osteuropa teils deutlich zu kalt für die Jahreszeit. Zum nächsten Wochenende könnte die Strömung auf Südwest drehen & dadurch würde es in Mitteleuropa rasch um 5 bis 10 Grad zu warm für die Jahreszeit werden!“ Das ist auf der Facebook-Seite von „Wetterfrosch“ Jörg Kachelmann zu lesen. Was für viele erstmal nach einer neutralen Wetter-Analyse klingen dürfte, führt regelmäßig zu hitzigen Diskussionen. Schnell ist der Vorwurf da, Kachelmann würde „Panik schüren“. Diesen Vorwurf liest man auch oft dann, wenn festgestellt wird, dass der vergangene Monat wieder einmal der wärmste seit Beginn der Messung war. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum selbst der Wetterbericht mittlerweile solche Reaktionen hervorruft?
Je mehr wir vor der „Wahrheit“ flüchten, desto bedrohlicher wird sie für uns. Wir sind narrative Wesen, also Geschichtenerzähler*innen, und es fällt uns viel leichter, die Erzählungen über „die Wirklichkeit“ zu verändern, als uns selbst. Wer Angst vor einer Krebsdiagnose hat, geht nicht gerne zum Arzt. Als ob die Diagnose das Problem wäre und nicht der Krebs. In diesen Verdrängungsgeschichten kann man sich mit anderen zusammenschließen und in immer ver-rücktere Geschichten abdriften, bis hin zu einer dann unbezweifelbaren „Religion“. Und dann braucht es ein Feindbild, einen Gegner, dem man alles Negative anlasten kann, was in der eigenen „Religion“ keinen Platz haben darf. Hier zeigt sich auch, warum die Ansicht, Gefühle seien schädlich, so beständig aufrechterhalten wird: aufgeheizte Diskussionen, die mit dem eigentlichen Phänomen nichts zu tun haben. Das Problem hier sind aber nicht die Gefühle selbst, sondern auf welche Weise sie zustande kommen und mit welcher Bedeutung sie besetzt werden. Dies passiert u. a. in einem kollektiven, teils unbewusst und teils bewusst durch Propaganda erzeugten Diskurs, der schon im Vorfeld bestimmte Akteure oder Gruppen als „Wutobjekte“ oder zu betrauernde Opfer deklariert – und andere nicht. Wetterberichte machen nicht als solche wütend oder verleiten zur Diffamierung von Wetterbot*innen, sie tun dies in einem bereits affektiv besetzten diskursiven Raum, indem Gefühle bewusst gesteuert und instrumentalisiert werden. 

Dagegen anzufühlen und anzudenken – mit Begründungen! – das ist die Aufgabe nicht nur von Philosoph*innen! Wir bräuchten also eine Art Gruppen- oder Gesellschaftstherapie, die einen Perspektivwechsel möglich macht, der es erlaubt, wieder zu sehen wie wunderschön unsere Welt ist und wie gut wir Menschen darin sein können, Lösungen für „das gute Leben“ zu entwickeln. Krebs können wir heute oft heilen. Oder wir können doch zumindest unsere Schmerzen erträglich machen und unser Leben um eine sehr wertvolle Zeit verlängern. Es geht also darum, zu lernen hinzuschauen „was ist“, um das was sein könnte zu ver-wirklichen. Erzählen wir also schöne, vitale Geschichten anstatt uns in Märchen zu flüchten, während uns die Folgen unserer Ignoranz, unseres (Nicht)Handelns noch die letzten Möglichkeitsräume verschließen.

Gleichzeitig hat Greta Thunberg einmal in einer Rede ganz konkret gefordert „I want you to panic.“ Sie haben dieses Zitat selbst in Ihrer Arbeit behandelt. In Gänze lautet es: „I want you to panic. I want you to feel the fear I feel every day. And then I want you to act. I want you to act as if you would in a crisis. I want you to act as if the house is on fire. Because it is.“ Ist Panik ein guter Berater in Weltkrisen? Muss erst das eigene Haus brennen, damit wir etwas tun? Das Haus brennt ja, um im Bild zu bleiben, aber eben noch nicht in Deutschland, sondern in anderen Ländern.
Es kommt darauf an, was wir mit der Panik machen. Ich denke immer an Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter“. Biedermann weiß sicher sehr gut, dass er Brandstifter beherbergt und was sie mit seinem Haus tun werden. Er sieht die Zusammenhänge. Aber er will es nicht verstehen. Er gibt ihnen sogar noch die Zündhölzer. Und selbst als alle tot und im Himmel sind, leugnet er immer noch alles. Es gibt für ihn keine Einsicht, kein echtes Verstehen, das ihn zum angemessenen Handeln bewegt. Warum nicht? Thunberg zeigt, dass sie das Phänomen wirklich durchdrungen hat und sie ist völlig ratlos darüber, warum um sie herum nichts passiert, was dafür geeignet wäre, das Problem zu lösen. Es brennt – wir müssen losrennen und löschen. 

Stattdessen sitzen wir in den Flammen und reden und reden. Ich kann Thunbergs Ratlosigkeit sehr gut nachempfinden und frage mich auch als Philosophin immer wieder: Warum machen sie denn nichts!? Was fehlt denn? Ich denke, viele Entscheidungsträger sind nicht adäquat affiziert (betroffen, Anm. d. Red.). Es lässt sie kalt. Dieses fehlende Fühlen ist Wirklichkeitsverweigerung. Dann wird von „Nüchternheit und Sachlichkeit“ gesprochen, um klarer sehen zu können „was ist“. Doch es ist umgekehrt, damit wird jedes echte Verstehen des Phänomens verunmöglicht, weil die wesentlichen Aspekte systematisch ausgeklammert werden. In einem brennenden Haus sitzend „sachlich“ zu sein – der Sache angemessen – bedeutet also mitunter Panik zu haben. Auf der anderen Seite ist Panik ein Zustand, in dem das Denken radikal verengt wird, um in einer Extremsituation sehr schnell zu einer Lösung zu kommen. 

Die Klimakrise ist jedoch ein hoch komplexes Problem, für das unser ganzer Ideenreichtum und unser wissenschaftliches, unternehmerisches und kulturelles Denken gefragt ist. Es wäre also besser, euphorisiert den Pioniergeist zu entfachen, nicht aber blind und naiv in den Aktionismus zu gehen. Oder gar einfach immer mehr von dem zu machen, was uns in die problematische Lage gebracht hat. Als Philosoph*innen sehen wir so viele Möglichkeiten, so viele gute Lösungen, so viel menschliches Potenzial.

Als ich verstanden habe, dass nach all dem Horror im Ahrtal vieles einfach genauso wieder aufgebaut wird, wie es war und das auch noch mit öffentlichen Geldern, war ich doch einigermaßen sprachlos

Andererseits könnte man mittlerweile schon sagen, dass auch das Haus in Deutschland brennt. Oder vielmehr: Es versinkt im Wasser. Der Klimawandel erhöht die Wahrscheinlichkeit für Starkregenereignisse. Die Flut im Ahrtal mit 134 Toten, aber auch die Überschwemmungen im vergangenen Jahr hier in der Region scheinen aber nicht zu reichen.
Tja … und das ist immer noch sehr harmlos im Vergleich zu dem, was die entsprechenden Wissenschaftler*innen prognostizieren. Und durch unsere Verleugnung, Verdrängung und Verzögerung verlieren wir immer größere Spielräume für konstruktive Lösungen. Es ist schon bemerkenswert: Wir kennen das Problem längst. Aber wir begreifen es nicht. Es wird nicht manifest in unseren politischen Entscheidungen und Handlungen. Es bekommt keine Dringlichkeit, keine Ernsthaftigkeit. Als ich verstanden habe, dass nach all dem Horror im Ahrtal vieles einfach genauso wieder aufgebaut wird, wie es war und das auch noch mit öffentlichen Geldern, war ich doch einigermaßen sprachlos. Was brauchen wir (noch), um adäquat verstehen zu können?

Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist etwas, worüber sich vortrefflich philosophieren lässt. Wie steht Imke von Maur dazu? „Es gibt nicht den einen Sinn des Lebens“, sagt die Philosophin. „Menschen können durch verschiedene Aktivitäten sinnhafte Leben führen.“ Der eine verwirkliche sich als Friseur, die andere als Chef-Köchin. Schlussendlich gehe es aber darum, sinnhafte Tätigkeiten zu tun, „in denen man aufgeht und sich engagiert – und damit etwas erzeugt, was das Leben auch anderer bereichert und besser macht.“

Ihren ökologischen Fußabdruck versucht Imke von Maur kleinzuhalten. Sie fährt kein Auto, ihre beiden Kinder kutschiert sie im Lastenrad herum. Neben dem Rad ist sie zu Fuß oder per Bahn unterwegs.

Kinder verstehen sehr gut die Absurdität der Geschichte „Vom Fischer und syner Fru“, von Ilsebill, die alles will – bis ihr auch Gott zu sein zu wenig ist.

Wie bewerten Sie die These „Klimaschutz bedeutet immer Verzicht.“
Nein! Im Gegenteil. Die Veränderungen haben enormes Potenzial, uns von vielem zu befreien, was bisher einen großen Verzicht für uns bedeutet. Wir sind in so viele Sachen verstrickt. Wir daddeln sinnlos auf unseren Smartphones herum, verbringen Stunden mit „Shoppen“, „müssen“ so viele Dinge machen und haben, die uns von wirklich lebendigem Tun abhalten. Wie viele verzichten darauf, echte Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, mit Freund*innen einfach mal nur abzuhängen, so wie wir es in unserer Jugend getan haben? Wie viele verzichten darauf, durch Landschaft oder Stadt zu schlendern, ohne von Gehupe, Gestank oder Konsumterror belästigt zu werden; oder darauf, sich voll und ganz dem Genuss echter, liebevoll zubereiteter Speisen zu widmen, ohne dabei durch die Gegend zu hetzen oder auf den Bildschirm zu starren? Wir setzen uns so vielen Zwängen aus und verzichten auf so vieles an Lebensqualität. Müssen wir dauernd durch die Welt fliegen oder gönnen wir uns mal Urlaub von dieser Struktur? Kein Packen, keine ewigen Stunden im Flughafen, kein Zwang, alles gesehen und in sozialen Netzwerken „geteilt“ haben zu müssen. „Einfach nur sitzen“ – wie Loriot sagt. Das kann sich nach ganz schön viel Freiheit anfühlen. Auch hier hilft also (gut reflektiertes und begründetes) Denken und Fühlen. Und eine Dekonstruktion von normalisierten Glücksversprechen. Will ich das wirklich oder denke ich das wollen zu müssen? Was tut mir wirklich gut? Welche Wünsche haben meine Familie und Freunde? Sich auf diesen Erkenntnisprozess einzulassen, kann sehr vieles eröffnen und manche absolute „Wahrheit“ verschieben. 

Die (auch kollektiv geschürte) Angst, Klimaschutz würde uns alles Wertvolle wegnehmen, erweist sich dann als Illusion. Philosophie zu betreiben bedeutet also auch Desillusionierung. Das heißt nicht, dass damit immer alles schön und lustig und einfach wird, aber es erlaubt eine reflektiertere und ernsthaftere Auseinandersetzung mit dem „wie, wofür und wohin“ des Lebens. Das ist Aufklärung als Emanzipation, als Befähigung, Mechanismen hinter Glaubenssätzen und Gefühlen adressieren und gegebenenfalls ändern zu können.

Vieles an diesen Verzichts-Diskussionen ist schlicht illusionär. Wenn wir das weglassen würden, was uns ohnehin nicht gut tut, wäre vermutlich das Problem auf ein recht überschaubares, bewältigbares reduziert. Ich möchte als Philosophin aber auch bemerken, dass hinter den häufig geäußerten Forderungen ein Anspruch steht, der sich nicht legitimieren lässt. Nicht auf etwas verzichten zu wollen, das einem gar nicht zusteht, ist ein äußerst merkwürdiges Konstrukt. Ich frage mich, woher die Anspruchshaltung kommt, unbedingt im absoluten Überfluss schwimmen zu wollen – ohne jede Rücksicht auf die Folgen für sich und andere, insbesondere für zukünftige Generationen. Kinder verstehen sehr gut die Absurdität der Geschichte „Vom Fischer und syner Fru“, von Ilsebill, die alles will – bis ihr auch Gott zu sein zu wenig ist. Kants kategorischer Imperativ ist ein einfacher Test, um zu prüfen, ob solche Ansprüche vernünftig sind. Dass nicht jeder wie Trump sein kann, der alles haben will, ist leicht einzusehen. Nicht mal einer kann so sein. Leben funktioniert nur dann, wenn wir kooperativ und gerecht sind.

Parteien, die das Bild vermitteln, mit der bisherigen Lebensweise der Gesellschaft sei nichts „falsch“ und man könne auch weiterhin leben wie bisher, haben es deutlicher einfacher als jene, die den Bürgern etwas zumuten wollen. Wie könnte ein Weg aus diesem Konflikt aussehen?
Der letzte Bundestagswahlkampf hat dies ja wieder verdeutlicht. Fast alle haben auf die Grünen „eingeschlagen“, als ob diese den Weltuntergang herbeiführen würden. Dabei muss man Robert Habeck doch zugestehen (gleich welcher politischen Couleur man anhängt), dass er ausgesprochen harmlose Veränderungen vorgeschlagen hat, die er stets sehr freundlich und gut begründet hat. Die anderen haben jetzt das Problem, dass sie diese Diffamierung der Partei und der Lösungen kaum noch zurücknehmen können. CSU-Urgestein Horst Seehofer hat das Grünen-Bashing unlängst als „historischen Fehler“ bezeichnet. Aber was machen sie jetzt?

Einige argumentieren, dass die notwendigen Veränderungen eine Überforderung für die Bürger*innen seien und zu schnell kämen. Wir wissen aber spätestens seit der Club of Rome-Studie von 1972 „Die Grenzen des Wachstums“ was auf uns zukommt. Wir zerreden das seit 53 Jahren! Wenn die Wissenschafts-Community auch nur einigermaßen Recht behält mit ihren Prognosen, dann mutet man den Menschen durch die Ignoranz des Problems etwas zu, das so extreme Ausmaße hat, wie die Kriege, die wir derzeit beobachten. Möchte das wirklich jemand? Ich weiß nicht wie wir die entsprechenden Politiker zur Vernunft bringen. Ein notwendiger Schritt ist es damit aufzuhören, die Ignoranz noch zu rechtfertigen. Unsere Politiker*innen müssen jetzt zu einer Ernsthaftigkeit zurückkehren und das anstoßen, was wirklich anliegt, um Zukunft überhaupt noch gestalten zu können. Aber selbst die Millionen von Jugendlichen von Fridays For Future haben sie mit ihrer Ignoranz in die Resignation getrieben. Umso mehr gilt es nicht nur für uns Philosoph*innen und Wissenschaftler*innen: Wir müssen weitermachen und nach echten Lösungen forschen.

Vielen Dank für das Interview, Frau von Maur.

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