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Der Ruf der Wüste

Aufmerksame espresso-Leser:innen kennen Gery bereits. 2022 tourte er zu Fuß durch die glühend heiße Sahara, ein Jahr später kämpfte er auf einer einsamen Insel vor der Küste Panamas ums Überleben. Pauschalreisen kommen dem 31-Jährigen nicht in die Tüte. Gery liebt das Abenteuer. In diesem Jahr zog es ihn zurück in die Wüste. Genauer gesagt zu einem sagenumwobenen Ort voller Mysterien: Tassili n’Ajjer.
Doch bevor wir Gery dorthin folgen, landen wir erst gemeinsam in Algier, der Hauptstadt Algeriens. Das erste, das ihm dort auffällt: der Verkehr läuft sehr viel geordneter ab als im Nachbarstaat Marokko („Offiziell zwei Spuren, inoffiziell vier.“). In Marokko war der Lentinger für sein erstes Wüstenabenteuer (2022) unterwegs. „Algerien habe ich verschlossener als Marokko erlebt“, sagt er.
Heißt: Strengere Visabestimmungen, nicht ganz so offen für Tourismus und insgesamt etwas konservativer. Die Architektur Algiers ist geprägt von einer Vielzahl von Einflüssen, erklärt der 31-Jährige, darunter maurische, französische (bedingt durch die lange Kolonialherrschaft) und römische. Das große Abenteuer ist in Algier aber nicht zu finden, dafür geht es erst einmal per Inlandsflug 1.000 km weiter Richtung Süden in die Oasenstadt Djanet. Hier sind wir schon ganz nah dran an einem der mystischsten Orte der Welt. Tassili n’Ajjer, eine 500 Kilometer lange Gebirgskette in der Sahara im Südosten Algeriens. Darin verborgen: Ein Felsenlabyrinth mit mehr als 15.000 erfassten Höhlenmalereien. Einige davon über 10.000 Jahre alt.

Bevor wir uns aber dort hineinwagen, bleiben wir noch ein wenig in Djanet. „Liest man sich die Warnungen des Auswärtigen Amtes über Algerien durch, bleibt man lieber daheim“, sagt Gery. Tatsächlich wurde in Djanet im vergangenen Jahr eine schweizer Touristin getötet. Sie war für eine Kamel-Safari durch die Wüste dort. „Geht man als weißer Tourist über den Markt, folgen einem Polizisten überall hin“, erinnert sich der Abenteurer. „Das ist natürlich schon ungewohnt.“ In Djanet trifft Gery auf seine restlichen Weggefährten. Denn auch dieses Abenteuer muss er nicht alleine überstehen. Dazu ein Guide des Reiseanbieters und – unerlässlich – Tuaregs, die die lebensfeindliche Region wie ihre Westentasche kennen. Gemeinsam geht es nun weg von Djanet und hinein in eine unwirtliche Welt, die den allermeisten Menschen für immer verborgen bleiben wird.

Am Startpunkt angekommen heißt es: Raus aus dem Jeep. Das einzige Reisemittel für die nächsten neun Tage sind jetzt nur noch die eigenen Füße. Die Gebirgskette Tassili n’Ajjer besteht großteils aus Sandstein. Durch Erosion entstehen spektakuläre Gesteinsformationen. In den Köpfen malen sich die Abenteurer bereits das Felsenlabyrinth aus. Dafür müssen sie aber an Tag 2 erstmal einen Aufstieg von 400 Höhenmetern über wackliges Geröll inklusive 25 Kilometer Gewaltmarsch mit 26 Kilogramm Gepäck überstehen. Denn das Labyrinth mit seinen verzweigten Canyons liegt auf einem Plateau und der Weg dorthin ist nunmal wüstentypisch. Steinig und schwer. „Alle paar Meter lagen tote Skelette von Kamelen oder Eseln. Da wird einem klar: Wer hier stolpert und sich das Bein bricht, stirbt.“

Es ist eine der lebensfeindlichsten Regionen der Welt. Wie lebensfeindlich, spürt Gery am nächsten Tag am eigenen Leib. „Am Ende des zweiten Tages habe ich trotz der enormen Belastung vor Erschöpfung fast keinen Schlaf gefunden. Dann machte mein Immunsystem komplett zu.“ Der nächste Morgen war für Gery die Hölle auf Erden. Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, Übelkeit und Schüttelfrost. Dazu die schier ausweglose Lage mitten im Nirgendwo. „Du kannst ja nicht wie daheim einfach im Bett liegen bleiben und eine Ibuprofen nehmen. Du bist an einem Ort, an dem dir niemand helfen kann. Ich dachte: Das war’s jetzt.“ Zurückbleiben aber ist keine Option. 15 Kilometer Fußmarsch stehen auf dem Tagesprogramm. Wohlgemerkt bei Temperaturen um die 40 Grad. „Du blickst in die Unendlichkeit. Kein Fels, kein Baum, kein Schatten. Da bin ich psychisch eingeknickt. An dieser Stelle ein großer Dank an Isi, die mich mit ihrem Pep Talk unterstützt hat und an alle anderen Teammitglieder, die mir Teile meines Gepäcks abnahmen.“



















Zum Glück kriegt Gerys Körper die Kurve. „An Tag 5 bin ich aufgewacht und es ging mir prächtig“, lacht er. „Die Eindrücke in diesem Teil der Erde sind aber unbezahlbar. Ich würde es wieder machen, selbst wenn ich wieder so krank werden würde.“ Besonders angetan haben es ihm die surralen Gesteinsformationen. „Ab einem gewissen Punkt dachte ich mir, es sieht so aus, als hätte Salvador Dali diese Wüste gemalt.“ Formen, Strukturen und die riesigen Steinbögen erinnern ihn an die Werke des Künstlers.
Auch aus dem Team schöpft Gery die nötige Motivation für die Strapazen. „Wir hatten ein sehr interdisziplinäres Team. Ein Radiologe, ein Jurist, ein Wildtierhüter, zwei Biologen, eine Landschaftsgärtnerin, ein Professor für Technologiemanagement (der auch einige der hier gezeigten Fotos gemacht hat, Anm.) und eine Polizistin“, zählt der Azubi-Beauftragte in der Audi-Gießerei auf. „Es gab im Prinzip keine Frage während der gesamten Tour, die nicht irgendwer beantworten konnte.“ Obwohl, so ganz stimmt das nicht. Denn am Ziel angekommen, dem Felsenlabyrinth mit den tausenden Höhlenmalereien, tun sich jede Menge Fragen auf, die die Menschheit wohl nie zur Gänze klären können wird.

Klar ist nur: Diese Region muss früher einmal sehr viel fruchtbarer gewesen sein als heutzutage. Savanne statt Wüste. Unter anderem Zeichnungen von Giraffen, die es hier schon lange nicht mehr gibt, zeugen davon. Besonders faszinierend: „Du bist tausende Kilometer vom Meer entfernt. Mitten in der Wüste. Es gibt quasi keinen Tropfen Wasser. Und dann siehst du plötzlich an der Wand ein Boot! Ich finde es bis heute spannend, darüber nachzudenken.“ Rinderherden und Kriegszenen, die sich oft überer mehrere Meter an der Felswand erstrecken, sind ebenso zu finden. Die Zeichnungen zu datieren ist selbst mit wissenschaftlichen Methoden sehr schwer bis unmöglich. Wahrscheinlich entstanden sie zwischen 12.000 und 1.000 v. Chr. Immer wieder kommt es vor, dass zwischen zwei nebeneinander liegenden Zeichnungen tausende Jahre liegen.

Manche der Malereien lassen sich nur schwer deuten, regen dafür aber umso intensiver die Phantasie der Abenteurer an. Sind es Schamanen oder Gottheiten? „Manche der Figuren wirken gar wie aus dem Hollywoodfilm ‚Alien vs. Predator‘“, lacht Gery. Stundenlang philosophiert die Gruppe so vor sich hin. „Es gab aber zwei große Epochen, die Rundkopf- und die Strichkopfperiode, durch die die zeitliche Einordnung leichter fällt“, erklärt der Lentinger. Und: „Je mehr Details die Zeichnungen haben, desto älter sind sie.“ Die Zeichnungen sind nur deshalb noch erhalten, weil sie über tausende Jahre vor der Witterung geschützt lagen. „Eine Theorie ist, dass die ganzen Canyons ausgesehen haben wie die Berliner U-Bahn“, so Gery. Irgendwie ist es doch auch romantisch, dass uns immer noch einige Eigenheiten mit unseren Vorfahren verbinden: „Der Mensch hatte schon immer den Drang, sich irgendwo zu verewigen. Vor 10.000 Jahren genauso wie jetzt.“ Besonders witzig: „Die obszönen Bilder waren immer ein wenig versteckt. Da musste man den Kopf schon ein bisschen verdrehen.“ Prähistorische Jugendschutzmaßnahmen.
„Der Plan war, alle Malereien, die wir finden, zu fotografieren, mit einem Geo-Tag zu versehen und einzukategorisieren. Am Ende des Tages haben wir sie an die UNESCO geschickt“, erklärt Gery. Tassili n’Ajjer ist sowohl Weltkultur- als auch Weltnaturerbe der UNESCO.











So gehen die Tage dahin. 5 Grad nachts, 40 Grad am Tag. Jeden Tag ein weiterer Marsch. Und Couscous. Viel Couscous. „Ich kann ihn bis heute nicht mehr sehen.“ Gery verzieht das Gesicht. Mittags und abends gibt es ihn. Hineingemischt Rosinen, Erdnüsse, Käse und Trockenfleisch. In der Wüste nimmt man eben, was man hat. Auch sonst war die Nahrung knapp bemessen. 1 Tüte Datteln, 1 Tüte Oliven, 2 Tütensuppen, 1 Tüte Kartoffelbreipulver und Haferflocken. Das war aber nicht das einzige, was die Abenteurer zwischen die Zähne bekamen: „Du kannst die Windstärke am Knirschgefühl zwischen deinen Zähnen abschätzen“, lacht er. Der Sand, ein ewiger Begleiter.

Wegen der wasserspeichernden Eigenschaften des Sandsteins ist die Vegetation hier etwas reicher als in der umliegenden Wüste. „Auch die starke Regensaison im Vorjahr hat die Vegetation beflügelt“, erklärt Gery. Das kommt dem Hobbybotaniker ganz gelegen. Die Pflanzen fotografiert er, um sie später bestimmen zu können. Einen wunderschön blühenden Oleander erkennt er aber auch so. Himmlisch: Ein Akazienbusch verströmt mitten im sandigen Nirgendwo einen unverkennbaren Duft. Auch einige Tiere haben sich an das Klima angepasst. Auf Schlangen, Spinnen, Heuschrecken, Eidechsen und sogar eine Gottesanbeterin trifft die Gruppe: Sie halten es selbst bei widrigsten Temperaturen aus.

Auf einen alten Bekannten aus der marokkanischen Wüste trifft Gery ebenfalls: die Ruhe. Kein Industrielärm, kein Verkehr. Nichts. „Die Abgeschiedenheit des Ortes lässt sich auch daran erkennen, wie viel Müll herumliegt. Hier lag so gut wie keiner. Etwas besonderes, aber auch traurig, wenn man darüber nachdenkt.“ Ebenfalls besonders: Die Mondsichel lag fast waagerecht am Nachthimmel – nicht senkrecht wie in Deutschland. Das spiegelt sich auch auf so mancher Flagge muslimisch geprägter Länder wider (auch wenn die Mondsichel auf der algerischen Flagge tatsächlich senkrecht steht).

Was für die einen ein großes Abenteuer ist, ist für andere bitterer Überlebenskampf. Auch daran sei in Zeiten wachsender Fremdenfeindlichkeit erinnert. „Wir wurden darauf hingewiesen, dass das Gebiet Teil einer Flüchtlingsroute ist. Es ist heftig zu sehen, wie hart Fluchtrouten sein können. Für mich war es eine Horrorvorstellung, hier durch zu müssen, in der Hoffnung, irgendwann mal in Europa anzukommen.“ Ein Perspektivwechsel, den viele in diesem Land nicht mehr hinbekommen. Im reichen Europa geboren worden zu sein war schließlich nur eines: Glück.

Sein nächstes Abenteuer sollte Gery eigentlich in die Mongolei führen. Als er aber von der Pioniertour in die algerische Wüste erfuhr, war er sofort Feuer und Flamme. „Ich würde jederzeit wieder in die Wüste gehen“, schwärmt er. Jedes seiner drei Abenteuer hat Gery auf seiner Haut verewigt. Eine Höhlenmalerei aus Algerien ziert seit kurzem seinen Arm. Ob er es bald in die Mongolei schafft oder erneut die Wüste nach ihm ruft? Auf Gerys Instagramkanal @scapeandfight erfahren Sie es als Erste.

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