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Politischer Neuanfang?

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Politischer Neuanfang?

Foto: Andrea Appel Fischer

Christian Lange hat viel von der Welt gesehen. Nach seinem Jura-Studium in Würzburg arbeitete er zuerst einige Jahre bei Edeka Südbayern in Gaimersheim, bevor er von der Metro Group nach Düsseldorf abgeworben wurde, wo er als Bereichsleiter deutschlandweit für die Immobilien- und Standortbewertung zuständig war. Weitere Stationen in seiner Karriere brachten ihn und seine Familie nach Kiew, dann nach Istanbul und schließlich landete Lange wieder in Ingolstadt, wo er sich selbstständig machte und kurze Zeit später die BGI gründete, für die er 2014 in den Stadtrat gewählt wurde. Im Interview spricht er über den richtigen Umgang mit der AfD, Ingolstadt als Autostadt und die Machtkämpfe zwischen ihm und dem amtierenden Oberbürgermeister.

Herr Lange, kaum ein Ingolstädter Politiker ist so präsent wie Sie. Sie lassen kein Event aus, beteiligen sich aktiv im Stadtrat und schießen in den sozialen Medien gegen die Stadtspitze. Bleibt da überhaupt noch Zeit für einen privaten Christian Lange?
Jeder Termin, den ich wahrnehme, ist ein halb öffentlicher und ein halb privater Auftritt. Den Privatmann gibt es aber schon noch. Vor allem da ich das Glück habe, dass mich meine Frau zu vielen Terminen begleitet, weil wir ähnliche Interessen haben. Auf der anderen Seite ist das Privatleben zu Hause eingeschränkt. Jetzt gerade ist mein Sohn zwar in einem Alter, in dem es ihm ganz recht ist, wenn der Vater nicht so viel zu Hause ist. Aber es wird die Zeit kommen – befürchte ich – in der er sich beschweren wird, dass ich nicht so viel Zeit für ihn habe.

Wenn sich dann freie Minuten ohne Verpflichtungen ergeben, wie verbringen Sie die am liebsten?
Vor allem im Sommer verbringe ich gerne Zeit in unserem Garten. Vor zwei Jahren habe ich zum Beispiel eine Weinrebe gepflanzt, die dieses Jahr ihren ersten großen Ertrag hatte. Gartenarbeit mache ich total gerne. Aber so ein richtiges Hobby, das ich regelmäßig ausüben könnte, dafür fehlt mir dann einfach doch die Zeit.

Wie sieht es mit Sport aus?
Der leidet im Moment.

War das früher besser?
Ja, viel besser. Ich war vor allem im Fitnessstudio. Das habe ich jetzt erst einmal aufgegeben. Weil ich gemerkt habe, dass sich das nicht rentiert, wenn ich nur einmal im Monat dort bin und trotzdem jeden Monat meinen Beitrag zahle.

Wäre das ein guter Vorsatz fürs nächste Jahr?
Das ist ein sehr guter Vorsatz, den ich mir auch schon fest vorgenommen habe. Egal, was nach der Wahl im März passiert, ich werde mich auf jeden Fall wieder mehr sportlich betätigen. Das ist mir sehr wichtig. Das sagt mir auch meine Waage.

Das Politikerdasein scheint oft mit einem ungesünderen Lebensstil einher zu gehen.
Das ist der Stress. Ich habe mal einen Artikel gelesen, in dem über Gewichtszunahme und einen zu hohen Stresspegel geschrieben wurde. So wie ich das verstanden habe, scheint sich ein hoher Stresspegel negativ auf die Fettverbrennung auszuwirken.

Fühlen Sie sich gestresst?
Momentan ist es schon stressig. Weil man wenig Zeit hat, überall auf den Veranstaltungen dabei ist und sich immer gut vorbereiten muss. Ich habe auch einen hohen Anspruch an mich selbst und will gut auf die Diskussionsrunden vorbereitet sein. Meistens habe ich dann viel zu viel vorbereitet.

Bis 2004 waren Sie Mitglied der CSU. Was hat Sie damals veranlasst, auszutreten?
Das lag vor allem an Erwin Huber, dem damaligen Parteichef. Die Richtung, in die er die Partei führen wollte, war mir viel zu provinziell. Es bestand die große Gefahr, dass die CSU zu einer Regionalpartei würde. Die nur noch für Bayern das Beste will, sich aber aus den Anliegen Deutschlands immer mehr heraushält. Und das hat mir nicht gefallen. Ich wollte nicht Mitglied in einer Regionalpartei sein.

Hatten Sie damals dann schon den Wunsch, eine eigene Wählergruppe zu gründen?
Nein, im Gegenteil. Ich habe damals als Bereichsleiter Immobilien- und Standortbewertung bei der Asset-Management-Gesellschaft der Metro Group in Düsseldorf gearbeitet. Dafür bin ich viel gereist und war nur am Wochenende in Ingolstadt. Daher stand für mich ab 2004 fest, dass ich in der Politik nichts mehr mache.

Sie sagten, dass die CSU Ihnen damals zu provinziell gedacht hat. Dann müssten Sie Herrn Lösel doch eigentlich dafür respektieren, dass er über den Tellerrand Ingolstadts hinausblickt und keine Angst davor hat, sich auch den großen Fragen unserer Zeit zu stellen.
Dafür habe ich auch Respekt. Er hat auch erkannt, und das ist eine Entwicklung der letzten Jahre, die ich absolut unterstützte, dass wir im Bereich der Struktur des Wirtschaftsstandorts dringend etwas tun müssen. In dem Punkt hat der Oberbürgermeister schon recht. Je unabhängiger Ingolstadt von der Automobilindustrie wird, desto besser ist es.

Warum?
Es hängt einfach noch zu viel in Ingolstadt am Thema Mobilität. Das zeigte auch kürzlich die Entscheidung von Markus Söder, dass Ingolstadt der Mobilitätsknotenpunkt in Bayern werden soll. Ich hätte mir gewünscht, dass man das viel stärker mischt, auch im Interesse der anderen Kommunen. Dass man dort Cluster schafft, wo der Standort die richtigen Voraussetzungen bietet, aber in der Wirtschaftsstruktur durchaus noch einen Ausbau vertragen könnte. Biotechnologie würde zum Beispiel gut nach Ingolstadt passen. Oder Biosensorik. Da ist Herr Lösel schon auf dem richtigen Weg. Wir müssen nur darauf achten, dass wir das dann nicht wieder nur ausschließlich auf die Mobilität und das autonome Fahren konzentrieren. Wirtschaft wird immer komplexer. Es ist nicht mehr so wie früher, als wir nur drei große Wirtschaftssektoren hatten, Schwerindustrie, Dienstleistung und Agrar. Heutzutage wird das immer vernetzter. Und da hat ein Standort wie Ingolstadt einen großen Vorteil. Je mehr wir alle vernetzt arbeiten und leben, desto weniger muss am Standort geschehen.

2011, bevor Sie sich selbstständig machten, absolvierten Sie eine Ausbildung zum Business-Coach. Welche Art von Mensch lernt man in diesem Bereich kennen?
Die meisten der Teilnehmer waren mir sympathisch. Es ist ein Menschenschlag, für den das Grundmotiv der Beziehung zu anderen Menschen ganz wichtig ist. Wie ich gelernt habe, gibt es drei Grundmotive: Macht, Leistung, Beziehung. Im Coaching-Bereich sind es oft Menschen, deren Beziehungsmotiv sehr stark ausgebildet ist. Natürlich findet man auch als Beziehungsmensch immer mal wieder Menschen, mit denen man trotzdem nicht klar kommt. Grundsätzlich bin ich aber jemand, der lieber in einem harmonischen Team arbeitet.

Trotzdem werden Sie von der Öffentlichkeit als streitsuchender Provokateur im Stadtrat wahrgenommen. Wie passt das zusammen?
Das war eine Zeit lang der Ansatz, der von den Medien so vermittelt wurde. Das ist aber falsch, ich suche nicht den Streit. Das Thema kam auf, als ich mich im Zuge von Transparency International für mehr Transparenz in der Ingolstädter Verwaltung eingesetzt habe. Wenn ich merke, dass etwas in die falsche Richtung läuft, dann möchte ich durchsetzen, dass etwas geändert wird. Da bin ich in der Politik manchmal zu forsch, vielleicht auch zu provokant. Aber wenn ich merke, dass jemand sich verschließt und abschottet, dann nervt mich das. Und wenn mich etwas nervt, dann werde ich auch einmal emotional. Da kann es gut sein, dass der ein oder andere das als Provokation empfindet. Beim Thema Transparenz wusste ich damals noch gar nicht, dass ich in so ein Wespennest stechen würde. Aber ich habe gespürt, dass in dieser Stadt das Thema Transparenz viel wichtiger ist, als die meisten es ahnen. Was sich im Nachhinein auch bestätigt hat.

Man könnte meinen, Sie hätten durch Ihre Ausbildung zum Coach genügend Erfahrung gesammelt, um in solchen Situation einen kühlen Kopf zu bewahren.
Es gehören immer zwei dazu.

Meinen Sie Herrn Lösel?
Lösel und Wittmann.

Weil sie Machtmenschen sind?
Ja, beide. Es spielt auch eine große Rolle, dass das Machtmotiv bei mir auch ausgeprägt ist. Wenn Alphatiere aufeinander treffen, dann kracht es bekanntlich.

Ist dieser Konflikt zwischen Ihnen dreien noch zu lösen?
Wenn auf beiden Seiten Bereitschaft da ist, sich anzunähern, dann lässt sich das lösen. In meinen Augen wäre der Oberbürgermeister derjenige, der den ersten Schritt machen muss. Aufgrund der Position. Er hat mit mir nicht einmal darüber gesprochen. Im Gegenteil. Es war schon vor der Wahl klar, dass er alles unternehmen wird, um mich im Stadtrat kleinzumachen. Wenn er um ein Gespräch unter vier Augen bitten würde, dann würde ich auf keinen Fall nein sagen. Aber ich finde, er ist am Zug.

Was würden Sie als Oberbürgermeister anders machen?
Ich würde auf alle zugehen und alle zu Gesprächen einladen. Und mich nicht von vornherein nur mit denen austauschen, mit denen Koatlitionen vorstellbar sind. Ich würde alle ins Boot holen. Oder es zumindest versuchen. Mit einer Ausnahme und das ist die AFD. Beim Umgang mit der AFD sind wir als Demokraten zu ganz großer Abgrenzung verpflichtet.

Sie erkennen die AfD nicht als demokratische Partei an?
Nein, für mich sind das keine Demokraten.

Was ist die AfD dann?
Das ist eine Partei, die von rechtsnationalen Politikern geführt wird, die in ihren Äußerungen einen großen Hang zu Rassismus und Ausgrenzung zeigen. Das ist etwas, das ich gar nicht mag. Unser Programm heißt nicht umsonst: Der Mensch im Mittelpunkt. Wenn wir das sagen, dann meinen wir damit jeden Menschen. Auch die Flüchtlinge, die in der Max-Immelmann-Kaserne oder in den Containern am WestPark leben. Denn es ist nicht unsere Aufgabe als Kommune, sich über die Asylgesetzgebung in Deutschland Gedanken zu machen. Wir müssen mit den Menschen, die in unserer Stadt leben, so umgehen, dass sie menschlich behandelt werden. Und dass wir die Menschenwürde eines jeden Einzelnen achten. Da gibt es momentan auch in Ingolstadt Optimierungsbedarf.

Haben Sie keine Sorge, dass sich die AfD zu einem Unruheherd im Stadtrat entwickeln könnte, wenn der OB sie kategorisch ablehnt?
Wir leben ja in einer Demokratie. Und unsere Demokratie muss wehrhaft bleiben. Das hat vor 100 Jahren in der Weimarer Republik nicht funktioniert. Wenn Politiker zur Wahl antreten, die Politik damit machen, dass sie gegen bestimmte Religionen, Lebensformen und Hautfarben hetzen, dann ist das Rassismus. Und der hat in einer Demokratie nichts verloren.

Wie würden Sie als OB dann konkret mit den Stadträten der AFD umgehen?
Wertschätzung und ein respektvoller Umgang gilt für alle Menschen. So lange der Respekt auf beiden Seiten da ist, kann es auch funktionieren, dass man respektvoll bleibt. Eine Zusammenarbeit mit der AfD wird es aber nicht geben. Ich muss als Demokrat aufpassen, wann ich etwas hoffähig mache, das ich eigentlich nicht hoffähig machen möchte, weil es meine Demokratie und meine Freiheit gefährdet. Und eine Zusammenarbeit mit der AfD gefährdet meine Freiheit. Denn die AfDler, mit denen ich jetzt zusammenarbeiten könnte, das können in 6 oder 12 Jahren die sein, die mir die politische Betätigung in dieser Stadt verbieten.

Welche Maßnahmen würden Sie als Oberbürgermeister zuerst in Angriff nehmen?
Zuerst würde ich dafür sorgen, dass im Stadtrat eine harmonische Basis geschaffen wird, auf der dann vernünftig Politik gemacht werden kann.

Wie viel Zeit wird das in Anspruch nehmen?
Vier Wochen.

Und dann sind die Wogen geglättet?
Das ist auf jeden Fall möglich. Es hängt ja von den Menschen ab. Ich habe kein Problem mit der CSU. Mit vielen Mitgliedern komme ich sehr gut klar, mit einigen bin ich befreundet. Der Konflikt ist allein durch die Machtdemonstrationen von Seiten Wittmanns und Lösels entstanden.

Welche Themen werden Sie anschließend anpacken?
Es gibt verschiedene Projekte, die wir mittelfristig neu angehen müssen. Wichtig sind hier die Kulturpolitik und die Jugendpolitik – die Einführung eines Jugendparlaments, offene Jugendarbeit etc. Außerdem müssen wir uns die Frage stellen, wie wir in Ingolstadt mit dem erheblichen Instandsetzungsstau umgehen. Wenn eine Immobilie jedes Jahr vernünftig in Stand gehalten wird, dann hat man über 40 Jahre verteilt relativ geringe Kosten. Wenn man aber gar nichts macht wie in Ingolstadt, dann hat man Gebäude, die in einem Zustand sind wie das Katharinen-Gymnasium und das Apian-Gymnasium etc.

Viele Ingolstädter bemängeln den aktuellen Zustand des ÖPNVs in Ingolstadt. Wie kann man hier Abhilfe schaffen?
Da gibt es so viele Möglichkeiten. Wir brauchen andere Taktungen. Ich wohne in Gerolfing und fahre oft Bus. Ich habe mir kürzlich das Adventsticket gekauft, weil von Gerolfing aus alle 15 Minuten ein Bus in die Stadt fährt. So muss es sein. Und zwar bei allen Linien. Wir brauchen außerdem neue Linienführungen. Alle Linien führen in Ingolstadt sternförmig auf den ZOB oder Nordbahnhof. Das kann in einer Großstadt nicht funktionieren. Wir brauchen Tangentiallinien, sodass ich z.B. direkt von Mailing zum Klinikum fahren kann, oder von Zuchering nach Mailing, etc. Die Preise müssen auch gesenkt werden. 2,70 Euro ist einfach zu teuer für Busfahren.

Was wäre ein angemessener Preis?
Ich bin ein Anhänger der Idee der bayerischen Staatsregierung, Tagestickets für einen Euro anzubieten. Mit denen man dann so viel fahren kann wie man will, wohin und wann man will. Nur so werden die Busse wieder voll. Dann verschwinden die Staus von selber. Der ÖPNV muss auch umweltfreundlicher werden. Wir haben immer noch zu viele Diesel-Busse, die den alten Normen entsprechen.

Also lieber auf Hybrid-Busse setzen?
Ich bin Anhänger der Elektro-Mobilität. Das ist für die nächsten Jahrzehnte die Technologie für den Verkehr im Allgemeinen. Es ist richtig, auch an der Wasserstoff-Technologie zu forschen, aber momentan ist der Elektromotor um ein Vielfaches besser.

Wie ist Ihre Einstellung zu Umweltschutz in der Politik im Allgemeinen?
Ich bin dankbar und froh, dass die Fridays-for-Future-Demos stattfinden. Dass die jungen Leute sich zusammengefunden haben, um uns den Spiegel vorzuhalten.

Was halten Sie von der Ausrufung von Klimanotständen?
Im Stadtrat ist das Thema abgelehnt worden. Ich hätte dafür gestimmt. Denn wir müssen auch wachrütteln und die Menschen emotional erreichen. Mit einem Klimanotstand erreicht man die Menschen emotional. So bringt man die Menschen dazu, sich intensiver mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinander zu setzen.

Wie schätzen Sie Ihre Chancen bei der Wahl ein?
Ich bin mir sehr sicher, dass es eine Stichwahl geben wird. Wer dort hineinkommen wird, kann man jetzt noch nicht sagen. Meines Erachtens nach gibt es drei Möglichkeiten: Petra Kleine, Christian Scharpf und mich. Wenn es um die Art geht, Politik zu machen, würden wir drei das um ein Vielfaches besser machen als Christian Lösel.

Dann kann es ja nur besser werden.
Wir brauchen auf jeden Fall einen Neuanfang in dieser Stadt. Wer diesen Neuanfang letztendlich anführt, ist zweitrangig. Es gibt genügend Menschen im Stadtrat, auch in der CSU-Fraktion, die vernünftig genug sind, einen solchen Weg einer gemeinsamen Strategieentwicklung mitzugehen.

Danke für das Gespräch, Herr Lange.

Kurzgefasst: OB-Kandidat Christian Lange (BGI)

Politiker reden viel – und gerne. Ob das auch kürzer geht? Jeder Ingolstädter OB-Kandidat durfte in einem selbstgedrehten „Wahlwerbespot“ folgende Frage für espresso beantworten: Warum sollte man Sie wählen? Einzige Vorgabe: Das Video darf nicht länger als 60 Sekunden dauern. Abzüge in der B-Note gibt’s für Christian Lange (BGI): ganze 18 Sekunden überzogen! Für das Café-Flair sammelt er in der espresso-Redaktion hingegen wieder Bonuspunkte. Es ist ein Geben und Nehmen.

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